Kommission gegen Konzern: Die EU will mehr Impfdosen von Astrazeneca und mehr Erklärungen. Kommt es zum Krisengespräch? Bei einer Absage droht Brüssel – mit mehr Transparenz.
Der Sitz der Generaldirektion Gesundheit liegt in einer Seitenstraße zwischen Kommission und Parlament. Obwohl in Brüssel Pflicht zum Homeoffice gilt, gab es dort vor kurzem reges Kommen und Gehen. EU-Abgeordnete durften einzeln und für 55 Minuten einen Raum betreten. Sie mussten ihr Handy abgeben und durften nur handschriftlich Notizen machen. Vor ihnen lagen 60 Seiten Papier.
Seltener Einblick in Impfstoff-Beschaffung
Der Vorkaufsvertrag der EU-Kommission mit Curevac ist teilweise geschwärzt – und doch ein Einblick in die Blackbox der Impfstoff-Beschaffung. Die EU hat sieben weitere Verträge mit anderen Impfstoff-Herstellern, alle sind noch unter Verschluss. Mangelnde Transparenz ist – aus Sicht der Besucher in der Seitenstraße – ein Grund, warum die EU-Kommission derzeit Kritik einstecken muss.
Letzten Freitag hatte der britisch-schwedische Pharmakonzern Astrazeneca die EU mit der Nachricht überrascht, er werde im ersten Quartal "signifikant weniger" Impfstoff liefern als noch im Dezember angekündigt. Was "signifikant" heißt? Die Rede ist von 31 statt 80 Millionen Dosen. Nicht mal das wollte die EU-Kommission bislang bestätigen. Doch nun könnte sie ihre Strategie ändern.
Die Eilmeldungen wechseln sich ab: Mal kommt Astrazeneca zum Krisengespräch am Abend, mal nicht. Der Firmenchef gab europäischen Medien ein Interview, der Kommission reicht das nicht.
EU droht mit mehr Transparenz
Ungeklärt ist aus Brüsseler Sicht vor allem die Frage, warum die EU allein Produktionsausfälle hinnehmen sollte. Sie droht mit mehr Transparenz – und damit, den Vertrag mit Astrazeneca zu veröffentlichen.
Europa-Abgeordnete fordern das schon lange. Denn das würde Aufschluss geben, über die Frage, welche Druckmittel die EU in der Hand hält.
Produktion auch in zwei britischen Werken
Bislang muss man glauben, was EU-Kreise streuen: Eine Klausel des Vertrags sichere der EU-Kommission Einblick in Produktionsdaten – die diese nun prüfen werde. Ein Anhang nenne ausdrücklich die Produktion in zwei britischen Werken – und nicht nur in jenem in Belgien, dessen Panne Astrazeneca als einzige Erklärung für den Lieferengpass angeführt hat. Und vor allem: Astrazeneca habe sich nicht nur zu "größten Anstrengungen“ verpflichtet.
Das Unternehmen habe – so heißt es in Brüssel – seit August über 300 Millionen Euro erhalten, die die Impfstoff-Entwicklung beschleunigen und der "Fertigung auf Risiko" dienen sollten. Diese Vorproduktion sollte "im hohen Millionen-Umfang" seit Oktober laufen. So stehe es auch in Lieferverträgen der Mitgliedstaaten, die auf dem Vorkaufsrecht der EU basieren. Doch auch die sind nicht einsehbar. Wie hoch der "Millionen-Umfang" war? Es bleibt ein Geheimnis.
Tiemo Wölken sitzt für die SPD im Europa-Parlament – und war ein Besucher in der Generaldirektion Gesundheit. Aus dem Curevac-Vertrag darf er mittlerweile zitieren. Die EU-Kommission hat ihn ins Netz gestellt.
Druck auf Astrazeneca? Wohl eher schwierig
Angenommen, der Vorkaufsvertrag mit Astrazeneca ähnelt dem mit Curevac – wie kann die Kommission dann Druck auf den Konzern machen? "Dann sind die Aussichten eher schlecht", meint Woelken. "Für zu späte Lieferungen ist nur festgelegt, dass der Hersteller informieren muss. Es sind keine konkreten Lieferdaten vereinbart, sondern nur die "quartalsweisen Lieferpflichten". Doch Rückschlüsse von einem zum anderen Vertrag bleiben Spekulation – mangels Einblicks.
Auch wenn der Sachverhalt ganz anders liegt: Nach PfizerBiontech ist auch Astrazeneca ein Anlass, mehr Transparenz zu fordern. In einem Brief an die Kommission verlangen die Grünen im Europaparlament nicht nur die Veröffentlichung der weiteren Verträge, sondern auch die Herausgabe von Verhandlungs-Protokollen.
so der Abgeordnete Rasmus Andresen.
Beim Thema Transparenz zierte sich die Kommission bislang, jetzt könnte es ihre Rettung sein. Ob Astrazeneca nun zum Gespräch kommt oder nicht: Um Antwort wird gebeten.
Gunnar Krüger berichtet als Korrespondent aus dem ZDF-Studio Brüssel über EU-Politik, die EU, die NATO und die Benelux-Staaten.