Die Kritik an der Impf-Priorisierung wächst, einige Bundesländer weichen bereits davon ab. Exklusiv bei ZDFheute: Die Reaktion der Impfkommission auf die "seltsame" Debatte.
In mehreren Bundesländern wurde der Impfstoff von Astrazeneca für alle zugelassenen Personengruppen freigegeben. Der Andrang ist groß.
Deutschland kommt langsam, aber sicher mit dem Impfen voran: Mehr als 20 Prozent der Bevölkerung haben die erste Schutzimpfung gegen das Coronavirus erhalten. Dabei halten sich die Länder größtenteils an die festgelegte Priorisierung beim Impfen. Die Frage ist: Wie lange noch?
Impfkommission verteidigt Reihenfolge
Die Forderungen nach einer Abweichung von der starren Impf-Reihenfolge werden immer lauter. Dennoch hält die Ständige Impfkommission (Stiko) an der Priorisierung fest - und hat wenig Verständnis für die aktuelle Debatte:
Ziel der festgelegten Priorisierung sei der Schutz von älteren und vorerkrankten Menschen: "Dies ist die Ursache für die Priorisierung, solange wenig Impfstoff verfügbar ist. Und da ist sie absolut sinnvoll, ethisch notwendig und gerecht", sagte Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommission, gegenüber ZDFheute.
Erst wenn genügend Impfstoff da und die besonders gefährdete Bevölkerungsgruppe geschützt werden kann, sollten "möglichst viele Menschen unabhängig von Risiken möglichst schnell geimpft werden", ergänzte Mertens. Mit anderen Worten: Je mehr Impfstoff verfügbar ist, desto unwichtiger wird die Priorisierung.
Impf-Reihenfolge: Immer mehr Abweichungen
Tatsächlich weichen bereits drei Bundesländer von der festgelegten Priorisierung beim Impfen ab: In Sachsen, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern können sich alle Altersgruppen unabhängig von der vorgesehenen Reihenfolge impfen lassen - allerdings nur mit dem Impfstoff von Astrazeneca.
Auch das Bundesland Bremen denkt über die Aufhebung der Impf-Reihenfolge bei Astrazeneca nach, teilte deren Gesundheitsbehörde am Donnerstag mit. Zuvor hatte auch die Universitätsklinik Dresden sowie die Landesärztekammer Thüringen für ein Abweichen von der Impf-Reihenfolge plädiert.
Gesundheitsministerium hält an Stiko-Empfehlung fest
Das Bundesgesundheitsministerium reagierte bisher zurückhaltend auf diese Forderungen: "Es gibt eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko), auf deren Grundlage wir eine Impf-Verordnung formuliert haben", sagte ein Sprecher des Ministeriums am Mittwoch.
Am Vormittag schob Spahn im Bundestag nach, er gehe "Stand heute davon aus, dass wir im Juni die Priorisierung werden aufgeben können." Im Mai soll als nächstes die letzte Vorranggruppe mit Menschen ab 60 drankommen.
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Kritik im Netz: "Eltern und Kinder sind der letzte Rest"
Doch auch in der Bevölkerung regt sich zunehmend Kritik an der festgelegten Impf-Reihenfolge, besonders unter Eltern. Diese stehen im Stufenplan zur Impf-Priorisierung an letzter Stelle. In diesem Zusammenhang viel zitiert und geteilt: Der Blogbeitrag der Soziologin Michaela Mahler mit dem drastischen Titel: "Eltern und Kinder sind der letzte Rest".
Eltern kommen im Stufenplan zur Impfpriorisierung an letzter Stelle - die Kritik daran wächst. Werden Eltern bei den Corona-Impfungen vernachlässigt?
Impf-Priorisierung ändern: Wie sinnvoll ist die Diskussion?
Die Soziologin möchte nicht, dass Eltern mit Menschen aus der Risikogruppe konkurrieren. Dennoch kann sie nicht verstehen, dass Eltern im Stufenplan gänzlich vergessen worden sind. Sie seien einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt, als "Drehkreuz" zwischen Berufswelt, Kitas und Schulen.
Ihre Forderung: Eltern innerhalb der bereits bestehenden Gruppen zu priorisieren. Sprich: Eine Supermarktmitarbeiterin mit Kindern vor der Mitarbeiterin ohne Kinder impfen. Der Stiko-Chef reagierte abweisend: "Sollen gesunde Eltern - also ohne Risikofaktoren, denn diese sind ja bereits priorisiert- wirklich vor Ehepaaren ohne Kinder geimpft werden?", sagte Mertens zu ZDFheute. "Ist diese Diskussion noch sinnvoll?"
Am kommenden Montag soll wieder ein Impfgipfel stattfinden. Spätestens danach wissen wir, ob die Regierung an der Impf-Priorisierung festhalten wird.