Sie wollen Menschen retten, aber es fehlen die Betten. Aktuell kämpfen Notärzte verzweifelt um Plätze für ihre Patienten. Und in den Notaufnahmen bereiten sie sich auf Triage vor.
Rettungsteams arbeiten in vielen Regionen am Anschlag. Eine Reportage aus Stuttgart.
Mit bangen Blicken beginnt ihre Schicht im Großraum Stuttgart. Notarzt Rüdiger Schwager checkt als erstes die Belegung der Intensivbetten im Umkreis. Was er da sieht, sind vor allem rote Balken.
Der erste Notruf: Ein Schlaganfall. Glück im Unglück, denn diesen Patienten muss eine große Klinik übernehmen, die ein Stroke-Unit hat. Die Diagnose erleichtert also die Bettensuche. Notarzt sein, heißt in diesen Tagen vor allem: um Betten zittern, Kliniken anbetteln, dabei aber trotzdem den Patienten möglichst schnell gerecht werden.
Häufig ist kein Intensivbett mehr frei
Während Rüdiger Schwager den Schlaganfallpatienten versorgt, warten sie im Klinikum Stuttgart auf die nächste Corona-Patientin.
Abwehren, was geht, ist die Devise des leitenden Oberarztes der Notaufnahme, Alexander Krohn: "Dadurch, dass wir häufig kein Intensivbett haben, sind wir in engem Kontakt mit den anderen Notaufnahmen. Dass nicht alle Nein, Nein, Nein sagen.
"Letzte Woche war es so, dass wir die letzte Herz-Lungen-Maschine verbaut haben. Und da denkt man schon: 'Was mache ich mit dem nächsten 40-jährigen Familienvater?' Das sind ethische Konflikte", beschreibt Krohn die derzeitige Lage.
Die eingelieferte 28-jährige Covid-Patientin ringt um Luft. Als erstes fragt der Arzt nach dem Impfstatus: Ein Mal geimpft, vor zwei Wochen.
Das könnte einen schweren Verlauf verhindern, aber die Mediziner fürchten trotzdem, dass die Lunge der Patientin befallen ist. Die junge Frau braucht einen Platz auf der bereits vollen Corona-Station. Daran führt wohl kein Weg vorbei.
Da kommt Notarzt Rüdiger Schwager mit dem Schlaganfall-Patienten – das heißt für das Team der Notaufnahme: Blitzschnell umgezogen sein, denn der Mann in Lebensgefahr darf keinesfalls mit dem Virus in Berührung kommen. Die Ärzte vermuten, dass er zusätzlich an einer inneren Blutung leidet. Ein Fall für die Intensivstation.
Arbeiten am Anschlag, Ringen um Betten
"Für den Notarzt ist es blöd, wenn man den nächsten Patienten reindrückt, obwohl sie am Limit sind. Aber das ist dann so", sagt Notarzt Rüdiger Schwager achselzuckend. Da ertönt sein Pieper, der nächste Einsatz.
Und parallel: Alarm im Schockraum. Die Ärzte mussten einen Mann reanimieren. Jetzt wird er beatmet. Mit Blick auf die Uhr sagt Oberarzt Alexander Krohn:
In der vierten Welle suchen sie nach Motivation
Und der nächste Herzinfarkt rollt an. Notarzt Rüdiger Schwager muss eine Frau von der Partnerklinik verlegen. Es ist ein Arbeiten am Limit, ein Puzzlestück, bei dem Teile fehlen und ständiges Improvisieren gefragt ist. Das zehrt an den Kräften:
"So langsam wird es halt auch schon schwierig, sich wieder zu motivieren, die nächste Welle wieder zu nehmen und wieder zu gucken, was man alles noch an Lösungen für Probleme finden kann und wie man die Patienten versorgen kann. Das geht schon an die Substanz", so der Notarzt.
Nicht mehr weit von der Triage entfernt
Irgendwo Platz schaffen - wie lange geht das noch? Das Wort Triage hängt wie ein Damoklesschwert über Notärzten und Kliniken in Deutschland. In der Notaufnahme beschreibt Alexander Krohn die Situation so: "Ich glaube, da hat jeder Angst vor, weil es auch eine ethische Frage ist."
"Also, wo man sich doch manchmal denkt: 'War das gut, den jetzt nach Hause zu lassen?' Das ist ja schon so eine Vorstufe der Triage. Wir probieren uns einfach aufzustellen, dass wir klare Linien haben und dass wir uns da ein bisschen schützen."
[Zwei Münchner Krankenhaus-Koordinatoren berichten, wie die bundesweite Patientenverlegung Bayern hilft:]
Bei der Übergabe: Kein Platz mehr auf der Intensivstation
Alle Betten sind jetzt belegt - und Ausfliegen ist im Akutfall keine Option, erklärt Notarzt Rüdiger Schwager, der gerade die Herzinfarktpatientin auf den Gang der Notaufnahme geschoben hat:
"Dass es so weit kommt, ist die größte Befürchtung - vor allem wenn die Zahlen weiter steigen."
Mit diesem Gefühl übergibt Rüdiger Schwager an den nächsten Notarzt - ohne dass ein Notfall passieren darf - in dieser Nacht, im Großraum Stuttgart.
Eva Schiller leitet das ZDF-Studio in Stuttgart.
- Warum die Intensiv-Lage so angespannt ist
Die Corona-Neuinfektionen sind so hoch-, Personal auf den Intensivstationen so knapp wie nie. Warum sich die Lage gegenüber der 2. und 3. Welle verschärft hat: