Sommerurlaub ist aus epidemiologischer Sicht vertretbar, sagt Virologe Hajo Zeeb. Worauf man achten sollte - und warum der Fokus auf Inzidenzen in die Irre führen könnte.
Die Corona-Zahlen sinken, die Inzidenz ist heute erstmals seit Mitte Oktober wieder unter den Wert von 30 gefallen. Da kann man fragen, wie lange die Corona-Maßnahmen denn noch gelten sollen. Der CDU-Spitzenkandidat in Thüringen Mario Voigt fordert nun in der "Bild":
In Thüringen steht im September die Wahl an, man kann das als Getöse abtun. Aber auch sein Parteifreund Jens Spahn hatte die Zahl ins Gespräch gebracht - und war dafür kritisiert worden, denn im Infektionsschutzgesetz stehen 35, 50 und 100 als Inzidenz-Marken. Von einer 20 ist nirgends die Rede. Fragen an den Bremer Epidemiologen Hajo Zeeb:
ZDFheute: Alle Auflagen weg ab einer Inzidenz von 20 - halten Sie das für epidemiologisch vertretbar?
Hajo Zeeb: Eine Inzidenz von 20 ist gut, doch die 10 wäre besser. Es ist schwierig, eine konkrete Zahl zu benennen, ab der stark gelockert werden sollte.
ZDFheute: Was könnte denn mit niedrigen Inzidenzzahlen erlaubt und vertretbar sein - auch im Hinblick auf den Urlaub?
Zeeb: Masken in Innenräumen sollten weiter getragen werden, Reiserückkehrer getestet und die Virusvarianten müssen im Blick behalten werden. Man sollte sich auch die Frage stellen, wohin man denn reist - Stichwort Virusvariantengebiet.
Aber wir haben niedrige Zahlen und das sollte auch der Anlass sein, vieles wieder möglich zu machen. Das ist auch epidemiologisch in Ordnung.
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ZDFheute: Alle schauen auf die Inzidenz, sie ist auch im Infektionsschutzgesetz als zentrale Referenz festgehalten. Aber ist sie noch das probate Mittel, um das Infektionsgeschehen zu beurteilen?
Zeeb: Denn viele Geimpften werden nicht mehr den Impuls haben, dass sie sich testen lassen, wenn sie mal Symptome entwickeln sollten. Sie werden sich vermutlich sagen: Das ist nur eine Sommer-Erkältung. Mit weniger Tests wird es dann schwerer werden, das Infektionsgeschehen noch gut einzuschätzen, wir werden dann ein Stück weit schwimmen. Wir bräuchten stattdessen regelmäßige Stichproben in der Bevölkerung.
- Forderung: Auflagen weg ab 20er Inzidenz
Die Infektionszahlen sinken, viele Bundesländer lockern die Corona-Auflagen. Der Thüringer CDU-Politiker Mario Voigt fordert, ab einer Inzidenz von 20 alle Auflagen zu streichen.
ZDFheute: Nochmal zur Zahl 20: Ist es denn überhaupt realistisch, dass die Inzidenz bundesweit stabil so weit zurückgeht?
Zeeb: Ich vermute, dass sie sich irgendwo knapp unter 30 einpendeln wird. Derzeit sinken die Zahlen stetig, doch das wird nicht bis auf Null zurückgehen. Die 30 scheint mir mit den voranschreitenden Impfungen und vorsichtigen Lockerungen machbar.
Das setzt aber voraus, dass wir nicht alle Maßnahmen sein lassen, sonst würden die Zahlen sehr schnell wieder nach oben gehen.
Das Interview führte Julia Klaus. Der Autorin auf Twitter folgen: julia__klaus