Kassels Oberbürgermeister Geselle ist nach den Ausschreitungen bei der Demo gegen Corona-Maßnahmen "wütend und fassungslos". Doch auch die Taktik der Polizei steht in der Kritik.
Einen Tag nach den Ausschreitungen bei Protesten gegen die Corona-Politik der Bundesregierung zeigt sich Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) "entsetzt". In einer Mitteilung der Stadt schreibt er, der 20. März sei "kein guter Tag für Kassel" gewesen.
Das Geschehene empfinde er als "Schlag ins Gesicht meiner Stadt", es mache ihn "wütend und fassungslos". Das zumeist defensive Verhalten der Polizei, die mehrere verbotene Demonstrationszüge und Versammlungen nicht auflöste, verteidigte Geselle jedoch. Angesichts der "zahlenmäßigen Unterlegenheit der Einsatzkräfte" sei die Deeskalationsstrategie richtig gewesen. Die Polizei rechtfertigte ihr Vorgehen am Samstag damit, dass sie keine Verletzten in Kauf nehmen wollte.
Das Internationale Auschwitz Komitee warnt nach der Demonstration vor Gefahren für die Demokratie. Es werde deutlich, "dass in Deutschland die Demokratie durch die Querdenkerbewegung und ihre krude Mischung aus Verschwörungstheorien und Staatsverachtung sowie durch gemeinsames Agieren mit antisemitischen und rechtsextremen Bewegungen unter Druck gerät", sagte der Exekutiv-Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner, am Sonntag.
- Warum ließ die Polizei Demo-Züge gewähren?
In Kassel haben Tausende gegen die Corona-Maßnahmen protestiert. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei - die Versammlungsauflagen kaum durchsetzte.
Auschwitz-Komitee: Polizei nimmt Bewegung nicht ernst genug
Die Aggressivität würde zunehmen, sie würde für die Gesellschaft zu einer Gefahr, zumal die Polizei offensichtlich diese Bewegung in ihrem bürgerlichen Erscheinungsbild nicht hinreichend ernst nehme und trotz gerichtlicher Vorgaben Milde und Rücksicht walten lasse.
Die Polizei hatte am Abend in einer Pressemitteilung ihr Verhalten mit einer Abwägung der Verhältnismäßigkeiten auf Basis gerichtlicher Vorgaben begründet. Mit dem eng abgestimmten Verhalten habe es keine Verletzten gegeben.
20.000 Menschen bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen
Bei einer der größten Kundgebungen in Deutschland seit Jahresbeginn hatten sich Anhänger der "Querdenken"-Gruppierung und Polizisten am Samstag in Kassel zum Teil gewaltsame Zusammenstöße geliefert. Die Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer an verschiedenen Versammmlungen im Stadtgebiet auf etwa 20.000 und sprach von einer "aggressiven Gesamtstimmung", die sich in Angriffen auf Einsatzkräfte entladen habe. Die Polizei setzte nach eigenen Angaben am Samstag Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Die Vorschriften zum Schutzabstand und zum Tragen von Masken seien dabei von den Teilnehmern weitgehend ignoriert worden.
Bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen gab es in der Kasseler Innenstadt Auseinandersetzungen zwischen Querdenkern und Polizeibeamten. Einige Demonstranten wurden festgenommen.
Kritik am Einsatzkonzept
Der Parlamentsgeschäftsführer der hessischen SPD-Landtagsfraktion, Günter Rudolph, kritisierte das Einsatzkonzept der Polizei als gescheitert: "Dass tausende von Corona-Leugnern, Verschwörungstheoretikern und anderen Realitätsverweigerern ohne Masken und ohne Abstand durch die Innenstadt von Kassel ziehen konnten, war ein absolut unverständliches Zurückweichen des Staates vor denen, die ihn infrage stellen."
Bischöfin verurteilt Ausschreitungen
Auch die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann, verurteilte die Ausschreitungen bei den Demonstrationen. Ein Verhalten auf einer Demonstration, das Corona-Regeln nicht beachte und mutwillig Ansteckungsrisiken in Kauf nehme, sei "kein sinnvoller Ausdruck der freien Meinungsäußerung, sondern höchst fahrlässig und verantwortungslos", erklärte die Bischöfin.
Video von Gewalt an Gegendemonstranten sorgt für Aufruhr
Für Kritik sorgte auch ein Video, das offenkundig dokumentiert, wie Polizisten eine von Gegendemonstranten errichtete Absperrung abräumen. Die Polizei in Kassel kündigte dazu eine interne Untersuchung an. "Im Netz kursieren Bilder und Videos, welche das Einschreiten von Einsatzkräften kritisch darstellen und die Polizei bei vermeintlichen Solidaritätsbekundungen zeigen", schrieb sie auf Twitter. "Wir nehmen das sehr ernst und werden die Sachverhalte intensiv aufarbeiten."
Da die auf dem Video gezeigten Polizisten von der Polizei-Thüringen kommen, kündigt auch Thüringens Innenminister Georg Maier Konsequenzen an. "Selbstverständlich wird der Einsatz kritisch nachbereitet. Auch mir stellen sich aufgrund der Bilder drängende Fragen. Ich werde nicht zögern, die Abgeordneten des Innenausschusses umfassend zu informieren", schrieb der SPD-Politiker am Samstagabend auf Twitter.
Die Polizei Nordhessen begründete das deeskalierende Vorgehen in einer Pressemitteilung unter anderem folgendermaßen: "Eine konsequente Verhinderung des Entstehens von Ansammlungen oder ein konsequentes Auflösen verbotener Versammlungen hätte nach Einschätzung der Polizei zur Anwendung von Zwangsmitteln und damit einhergehend zu einer nicht unerheblichen Anzahl an Verletzten auf allen Seiten geführt." Daher habe man abwägen müssen. Die Polizeiführung sei mit verschiedenen Beratern ständig, intensiv und jederzeit über die Möglichkeiten und Konsequenzen des polizeilichen Einschreitens in Abstimmung gewesen.