Eigentlich können Kinder unter 12 erst kurz vor Weihnachten geimpft werden. Doch 60 Ärzte wollen nicht mehr warten. Sie starten eine Online-Plattform mit Impfterminen für Kinder.
In den USA darf der Corona-Impfstoff von Biontech an Kinder geimpft werden. In Deutschland dagegen ist die Ständige Impfkommission noch verhalten.
Am 20. September fährt Benjamin Steffens (Name von der Redaktion geändert) mit seiner dreijährigen Tochter 500 Kilometer Autobahn. Ihr Ziel: Eine Hausarztpraxis in Nordrhein-Westfalen. Dort impft Marc Gillinger (Name von der Redaktion geändert) seit ein paar Wochen bereits Kinder unter 12 gegen Corona.
60 Ärzte bieten Termine online an
Noch gibt es in Deutschland keine Zulassung für Kinderimpfungen - anders als zum Beispiel in den USA oder Israel, wo Kinderimpfungen am Dienstag beginnen. Doch das könnte sich bald ändern. Am Mittwoch dürfte die europäische Arzneimittelbehörde EMA den Impfstoff von Biontech auch hierzulande für 5- bis 11-Jährige zulassen. Bis zu den ersten Impfungen dürfte es aber noch bis zum 20. Dezember dauern.
So lange wollen Steffens und Gillinger nicht warten. Die beiden haben die Internetseite U12schutz.de gestartet, auf der etwa 60 Ärztinnen und Ärzte aus ganz Deutschland vernetzt sind, die auch jetzt schon Kinder impfen. Eltern können die Ärzte anschreiben und nach einem Impftermin fragen. Haben die Praxen, die sich zum Beispiel in Stuttgart, Berlin oder Frankfurt am Main befinden, Kapazitäten frei, melden sie sich bei den Eltern mit ihren Kontaktdaten zurück.
Warum Impfungen bei Kindern komplex sind
"Bei der ersten Kontaktaufnahme über die Internetseite bleiben die Ärzte anonym", sagt Marc Gillinger. Es komme vor, dass sie bedroht würden. Er kenne einen Kollegen, der mit einem Arzt verglichen wurde, der während der Nazizeit Experimente an Kindern durchgeführt habe. Gillinger hält Kinderimpfungen trotz aller Widerstände für wichtig - auch, weil das Thema Long Covid bei Kindern unterschätzt werde.
Auch Wissenschaftsjournalistin Julia Fischer hält Kinderimpfungen für sinnvoll, insbesondere bei vorerkrankten Kindern. Bei gesunden Kindern sei die Lage komplexer, weil sie nur selten schwer erkrankten. Hier müssten Eltern und Arzt abwägen. Dann aber seien Impfungen auch von Kindern unter fünf Jahren möglich und legal. Die Beratung müsse dokumentiert und von beiden Eltern unterschrieben werden. Fischers Fazit:
Stiko warnt vor Impfdruck auf Kinder
Zurückhaltender bei Kinderimpfungen ist derzeit noch die Ständige Impfkommission. Stiko-Chef Thomas Mertens warnt davor, Impfdruck auf Kinder auszuüben, um so Impflücken bei Erwachsenen zu schließen. Im ZDF sagte Mertens, Kinder erkrankten nur selten schwer an Corona und spielten für die Überlastung des Gesundheitssystems derzeit erfreulicherweise keine Rolle.
Die genaue Zahl an schweren Verläufen bei Kindern kannte der Stiko-Chef nicht. Er konnte nicht sagen, ob derzeit 32 oder 35 Kinder intensivmedizinisch behandelt werden oder an Corona gestorben seien. Mertens nannte das "egal". Für Marc Gillinger sind solche Äußerungen skandalös. "Die Stiko ist viel zu langsam", sagt er. Die Daten seien da und sie seien eindeutig: "Wir impfen jetzt einfach und warten nicht mehr auf die Stiko."
- Stiko-Chef: Impfdruck auf Jüngere "absurd"
Sollen bald auch Kinder unter zwölf Jahren geimpft werden? Die Stiko hält sich mit einer Empfehlung zurück, weil zu wenig Daten vorliegen. Ihr Chef warnt vor politischem Druck.