Es rettet in Corona-Zeiten vielen den Job: das Kurzarbeitergeld. Doch einige müssen jetzt Steuern nachzahlen. 3,5 Milliarden macht der Staat damit Plus. Der Protest dagegen wächst.
Die "Bazooka" vom früheren Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat vielen Menschen in zwei Jahren Corona-Pandemie den Job gerettet. Der Staat zahlte länger und einfacher Kurzarbeitergeld, damit Betriebe ihre Beschäftigten nicht entlassen müssen. Jetzt kommt für viele die Quittung: Sie müssen Steuern nachzahlen.
Linke, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) und andere Berufsverbände finden: Als Kanzler müsste Scholz das ändern.
Bundesagentur: Zahlen besser, aber Unsicherheit bleibt
Sechs Millionen Menschen haben während der Pandemie in der Spitze im April 2020 Kurzarbeitergeld bekommen. Heute meldet die Bundesagentur für Arbeit, dass es im vorigen November noch 574.000 waren, in den meisten Branchen würden es weniger. Im Januar könnten es wie im Dezember 326.000 werden.
Betroffen sind vor allem: das Gastgewerbe, die Hotellerie, der Einzelhandel und die Veranstaltungsbranche - wegen der Unsicherheiten in der Omikron-Welle, so die Bundesagentur. Einige in der Branche könnten nun Post vom Finanzamt bekommen.
Zwar wird Kurzarbeitergeld nicht versteuert, wie auch das Arbeitslosengeld nicht. Bei der Steuererklärung wird aber das gesamte Einkommen im Laufe des Jahres berücksichtigt. Kommt also zum Kurzarbeitergeld dann zum Beispiel wieder das normale Gehalt oder vielleicht sogar Mehreinnahmen, könnte man bei einem höheren Steuersatz landen.
- Arbeitsmarkt bleibt trotz Omikron stabil
Der Arbeitsmarkt in Deutschland bleibt trotz Omikron-Welle weitestgehend robust. Zwar stieg die Zahl der Arbeitslosen im Januar - aber deutlich weniger als in den Vorjahren.
Der Staat profitiert letztlich von seiner eigenen Hilfe: In den beiden Pandemie-Jahren 2020 und 2021 bekam er dadurch 3,5 Milliarden Euro Steuern zusätzlich. Viele sagen deswegen: Dieser Progressionsvorbehalt muss weg.
Linke: "Ein Unding"
"Das Kurzarbeitergeld sollte endlich vom Progressionsvorbehalt ausgeschlossen werden", sagt Christian Görke, Bundestagsabgeordneter der Linken. "Ein Unding", findet er.
Laut Auskunft des Bundesfinanzministeriums nach einer Anfrage von Görke, über die der "Spiegel" zuerst berichtete, teilen sich die 3,5 Milliarden Euro, die der Staat ohne Progressionsvorbehalt weniger einnehmen würde, so auf: 2020 hätten insgesamt 2,1 Milliarden gefehlt, dabei hätte der Bund auf 950 Millionen, die Länder auf 850 Millionen und die Kommunen auf 300 Millionen Euro verzichten müssen.
2021 würden insgesamt 1,4 Milliarden Euro fehlen - 600 Millionen dem Bund, fast genau so viel den Ländern und 205 Millionen den Kommunen.
Es trifft Boutiquen, Reisebüros und kleine Läden. Corona zwingt immer mehr Einzelhändler in die Knie.
Auch der DGB warnt davor, dass vor allem Beschäftigte im Niedriglohnbereich, bei denen der Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld nicht aufgestockt hat, "untragbare Mehrbelastungen" bekommen könnten, so DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Das betreffe auch mittelständische Betriebe.
"Wer mit dem Kurzarbeitergeld erhebliche Einkommenseinbußen hinzunehmen hat, sollte nicht noch zusätzlich belastet werden und Steuern nachzahlen müssen", so Körzell.
FDP in der Opposition für Abschaffung
Vor einem halben Jahr hatten Linke und DGB schon einmal gefordert, den Progressionsvorbehalt zu kippen. Damals hatte die Bundesregierung aus Union und SPD das abgelehnt: Das wäre ungerecht gegenüber anderen Beschäftigten, hieß es.
Auch der heutige Bundesfinanzminister Christian Lindner und seine FDP-Bundestagsfraktion waren im Juni 2020 für die Abschaffung des Progressionsvorbehalts, als sie noch Opposition war. Begründung: Es drohe "die enorm hohe Anzahl von zusätzlich anzugebenden Steuererklärungen, die Finanzverwaltung zu überfordern", hieß es in dem Antrag im Bundestag. Auch die "psychologische Wirkung", so die FDP, müsse berücksichtigt werden. Viele Betroffene würden von der Pflicht, jetzt eine Steuererklärung abgeben zu müssen, überrascht und hätten "angesichts der coronabedingten Notsituation wenig Verständnis für die Abgabepflicht".
Der Antrag der FDP kam damals nicht durch. Jetzt sind die Liberalen Regierungspartei und stellen den Bundesfinanzminister. Ein neuer Ansatzpunkt, findet Linken-Politiker Görke:
Inflation: Kalte Progression auf Wiedervorlage
Lindner selbst hatte vorige Woche angekündigt, sich die steuerliche Progression noch einmal anzuschauen. Wenn der neue Progressionsbericht vorliegt, der alle zwei Jahre dem Bundestag vorgestellt werden muss. Das soll im Herbst so weit sein.
An das Thema kalte Progression muss Lindner möglicherweise ohnehin. 2019 und 2020 sei sie nach Schätzung des Bundesfinanzministeriums durch die Verschiebung der Eckwerte im Einkommenssteuertarif oder dem Familienentlastungsgesetz "mehr als ausgeglichen" worden, wie es im Progressionsbericht vom Oktober 2020 heißt.
Damals rechnete man allerdings mit einer Inflationsrate in Höhe von 1,17 Prozent. Jetzt liegt sie bei 4 bis 5 Prozent.