In einer Fernsehansprache appelliert Frankreichs Präsident Macron an die Vernunft seiner Landsleute und wirft einen Blick in die Zukunft.
"Um in Frankreich frei leben zu können, muss man sich verantwortungsbewusst und solidarisch zeigen", so rechtfertigte Emmanuel Macron am Dienstagabend, in seiner neunten Fernsehansprache seit dem Beginn der Covid-Krise im März 2020, den erneuten Appell an die Franzosen, sich impfen zu lassen, die Beibehaltung sämtlicher Einschränkungen und die verpflichtende Booster-Impfung für Senioren.
"Dank des Gesundheitspasses haben wir es geschafft, die Epidemie in Zaum zu halten“, unterstrich der Staatschef in seiner fast halbstündigen Ansprache. In Frankreich ist der Gesundheitspass, der eine vollständige Impfung belegt, notwendig, um ungezwungen am öffentlichen Leben teilzuhaben, also, um ins Kino oder ins Restaurant zu gehen, Hallensport zu betreiben oder Langstrecke Zug zu fahren.
Booster-Nachweis erforderlich
Ab dem 15. Dezember müssen alle Franzosen über 65 beweisen, dass sie auch die Booster-Impfung bekommen haben, um ihren Gesundheitspass zu verlängern, kündigte Macron in seiner Rede an. Er hofft damit, die schleppende Kampagne für die Drittimpfung zu beschleunigen.
Macrons Ansage war für viele Franzosen keine Überraschung mehr. Der Erfolg des Gesundheitspasses, der im Juli eingeführt wurde, bestätigt die Regierung in ihrem harten Kurs. Über 75 Prozent aller Franzosen sind inzwischen komplett geimpft, das sind 87,2 Prozent der impfbaren Bevölkerung. Damit liege Frankreich weltweit unter den Spitzenreitern, brüstete sich Macron.
Frankreichs Krankenhäuser sind am Limit und die Zahlen steigen auf fast 30.000 Neuinfektionen pro Tag. Staatspräsident Macron hat am Mittwochabend eine Ausgangssperre angekündigt.
Aber "wir werden mit dem Virus und seinen Varianten leben müssen, bis die gesamte Weltbevölkerung immunisiert ist", warnte er. Die Steigerung der Inzidenzen um 40 Prozent in den letzten sieben Tagen sei eine erste Warnung, sagte Macron. Die dazu führt, dass alle erhofften Lockerungen entfallen - und die Booster-Impfung ab dem 1. Dezember auch allen Franzosen über 50 angeboten wird. Außerdem sollen die Kontrollen des Gesundheitspasses im öffentlichen Bereich verschärft werden.
Verwundbarkeit und Abhängigkeit
Aber die Gesundheitskrise hat auch andere Auswirkungen auf das Land, nicht nur im sanitären Bereich. Wenn die französische Wirtschaft dank massiver Hilfen wieder auf die Beine kommt, die Arbeitslosigkeit so niedrig sei wie seit 15 Jahren nicht mehr, haben "wir erlebt, wie verwundbar wir sind", unterstrich der Staatschef. "Wir haben erneut erkannt, wie abhängig wir vom Ausland sind, auch für lebenswichtige Produkte wie Masken, Paracetamol und andere".
Um die Unabhängigkeit im Energiesektor zu stärken, verkündete der Präsident zum ersten Mal seit Jahrzehnten den Bau neuer Atomreaktoren im Land. "Wir müssen weiter Energie sparen und zugleich in die Produktion emissionsarmer Energien in unserem Land investieren", erklärte er. "Dank dieser Investitionen werden wir unsere Zusagen (bei der COP26) einhalten können", sagte er.
Atomkraft sorgt für Konsens
Atomkraft sorgt in Frankreich parteiübergreifend für Konsens. Ein wichtiger Punkt, weniger als ein halbes Jahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl. Emmanuel Macron ist zwar noch nicht offiziell Kandidat für seine eigene Nachfolge, der Inhalt seiner Ansprache lässt aber wenig Zweifel an seinen Absichten.
Zwei Drittel der Fernsehansprache verbrachte Macron damit seine Bilanz ins richtige Licht zu rücken. Und einen Blick in die Zukunft zu werfen. Die unbeliebte "aber notwendige" Rentenreform? Verschoben. Polizei und Justiz sollen neue Kredite erhalten, um die Sicherheit der Franzosen zu gewährleisten. Das Steckenpferd seiner zukünftigen rechten und rechtspopulistischen Gegner im Wahlkampf.
"Die dritte Impfdosis war also nur ein Vorwand, um eine Wahlrede zu halten", reagierte auch prompt die rechtspopulistische Kandidatin Marine Le Pen auf Twitter, die Macron als "realitätsfern" bezeichnete. "Macron ist Präsidenten-Kandidat und Kandidaten-Präsident", beschuldigte ihn auch der linke Jean-Luc Mélenchon von La France Insoumise.
Während der französischen EU-Ratspräsidentschaft ab dem 1. Januar hofft Macron außerdem, sein Image als Staatsmann zu polieren. Wenn die Covid-Krise nicht wieder dazwischenfunkt.
Verena von Derschau arbeitet im ZDF-Studio Paris.
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