Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hat im ZDF über schwierige Grundrechtsabwägungen in der Pandemie gesprochen und Kritik am polnischen Justizsystem geübt.
Das Bundesverfassungsgericht hat am Freitag in Karlsruhe mit einem Festakt seinen Präsidentenwechsel begangen. Stephan Harbarth übernahm das Amt schon im Juni 2020 von Andreas Voßkuhle, wegen der Pandemie wurden die Feierlichkeiten aber auf 2021 verschoben.
Im Interview mit dem ZDF heute journal hat Harbarth die Rolle des Gerichts in der Corona-Pandemie verteidigt. "Das Gericht blieb nicht still", machte er deutlich. Es habe inzwischen über 700 Entscheidungen getroffen und sich jede Verfassungsbeschwerde im Einzelfall sehr sorgfältig angeschaut. "Es geht in der Tat um massive Grundrechtseingriffe", so Harbarth.
Entscheidung zu Bundesnotbremse erwartet
Grundrechte stünden häufig in einem Spannungsverhältnis. Dieses Spannungsverhältnis sei aufzulösen und das mache die Entscheidung am Ende häufig so schwierig. So habe das Gericht beispielsweise in einem sehr frühen Pandemie-Stadium klargemacht, dass das Recht auf Demonstrationen nicht ausgesetzt werden können.
Für den 30. November hat das Gericht nun eine Entscheidung zum Gesetz der Bundesnotbremse angekündigt. Bei der Entscheidung seien Hinweise "für Folgefragen, die sich stellen werden", zu erwarten - etwa für kommende Pandemien oder für Maßnahmen in der gegenwärtigen Pandemie für die kommenden Monate.
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So ist das in Zwischenzeiten: Zeitgleich geht die Noch- und die Fast-Regierung vor die Presse, um Maßnahmen gegen die Corona-Welle zu präsentieren. Was sie eint, was sie trennt.
Harbarth wehrt sich gegen "Parteisoldat"-Vorwürfe
Harbarth muss sich immer wieder auch mit Befangenheitsanträgen gegen in auseinandersetzen. Ein Abendessen mit Mitgliedern der Bundesregierung und die Tatsache, dass er direkt aus der CDU-Bundestagsfraktion ans Gericht wechselte, sorgen mitunter für Kritik. Dafür habe er aber schon zu viel Eigenständigkeit bewiesen, so Harbarth.
Die meisten Personen am Bundesverfassungsgericht "sind übrigens einstimmig gewählt worden", rechtfertigt sich der Präsident. "Das schaffen sie nicht, wenn sie als Exponent einer politischen Richtung und als eine Art strammer Parteisoldat wahrgenommen werden."
Kritik an System in Polen
Angesprochen auf die in der Kritik stehende Justiz in Polen machte Harbarth deutlich, dass das polnische Verfassungsgericht nicht den Maßstäben gerecht werde. "In Polen geht es der gegenwärtigen Regierungspartei darum, das Justiz-System fast lehrbuchartig zu beschädigen", sagt Harbarth.
Die Unabhängigkeit der Justiz sei deshalb so wichtig, damit eine Regierung und ein Parlament effektiv kontrolliert werden könne und um deren Macht zu begrenzen. Dies sei in Polen nicht mehr der Fall, so Harbarth: "Die Unabhängigkeit der Justiz steht in Polen bestenfalls noch auf dem Papier."
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