Niedersachsen hatte erwogen, die Maskenpflicht aufzuheben - und begab sich mit seiner Corona-Politik auf Schlingerkurs. Das ist brandgefährlich.
Click&Collect, Click&Meet, Shoppen ohne negativen Corona-Schnelltest - außer bei Ladengrößen über 200 Quadratmeter, draußen speisen, aber nicht drinnen, keine Schule in der Schule bei Inzidenzen über 165 - oder doch? Wer soll da noch durchblicken? Keine Frage, Regeln sind wichtig für das gesellschaftliche Zusammenleben. Gerade, wenn es darum geht, einer Ausnahmesituation wie einer weltumspannenden Pandemie Herr zu werden. In dem Tempo, in dem Bund und Länder Corona-Regeln produzieren und wieder einkassieren, richten Politikerinnen und Politiker allerdings mehr Schaden als Nutzen an.
Shitstorm in den Sozialen Medien
Ausgerechnet Niedersachsen - zu Beginn der Impfkampagne noch im Tabellenkeller der Bundesländer, bei den Inzidenzwerten und der Strenge der landesweiten Corona-Auflagen lange Zeit vergleichsweise mittelmäßig - ausgerechnet Niedersachsen preschte nun bei der Maskenpflicht vor, um alle anderen Länder zu überholen: In einem Entwurf für weitere Lockerungen der Corona-Maßnahmen sollte die Maskenpflicht im Einzelhandel in Regionen mit einer stabilen Sieben-Tage-Inzidenz unter 35 fallen. Man folge damit der Forderung des Handels, weil dieser nach Experteneinschätzung kein Treiber des Infektionsgeschehens sei, hieß es von Seiten der Landesregierung.
- Doch keine Lockerung der Maskenpflicht
Bleibt die Inzidenz in Niedersachsen niedrig, sollte die Maskenpflicht im Einzelhandel eigentlich fallen. Nach Kritik nimmt die Landesregierung jedoch mögliche Lockerungen zurück.
Unter dem Hashtag #diemaskebleibtauf zwitscherte sodann ein Shitstorm in den Sozialen Medien über diese Pläne hinweg. "Deutschland hat die Maske zu spät aufgesetzt. Jetzt soll sie zu früh abgenommen werden. Das kostet Menschenleben" oder "Wenn die Maskenpflicht fällt, kaufe ich alles online", war unter anderem zu lesen.
Spahn warnt vor "Übermut"
Die Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg reagierten ebenfalls prompt und teilten mit: Die Maskenpflicht beim Einkaufen bleibt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warnte gar vor "Übermut". Er habe den Eindruck, "dass im Moment wochenweise in einigen Ländern Lockerungen gemacht werden".
Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) ruderte gegen Mittag zurück: "Es wird keine Aufhebung der Pflicht zur Mund-Nasen-Bedeckung in Niedersachsen geben", schrieb sie auf Twitter. Die Landesregierung mag zur Räson gedrängt oder ihren Weg dorthin gefunden haben - bei der Bevölkerung blieb viel Vertrauen auf der Strecke. Und das ist brandgefährlich.
Vernebelte Weitsicht
"Wir sind die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen", heißt es in der Landeshymne, die der niedersächsische Landesvater, Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), gerne dann zitiert, wenn es darum geht, die berühmte norddeutsche Gelassenheit und Besonnenheit herauszustreichen. Im Flachland ist die Weitsicht besser, scherzt man hierzulande gern. Doch die Sicht der Landesregierung scheint zuletzt vernebelt gewesen zu sein.
Ja, die Sieben-Tage-Inzidenz in Niedersachsen betrug am Donnerstag 46,6. Am Freitag stieg sie aber bereits wieder leicht auf 47,1. Gerade jetzt, wo Frühlingsgefühle zu gemütlichem Beisammensein locken, wo pandemiegestresste Nerven nach Urlaub, nach Normalität lechzen, liegt es an der Politik, sturmfest und erdverwachsen zu sein. Politik mag in diesen Zeiten oft als Spielverderber dastehen. Sie muss es aber, um Weitsicht für das Allgemeinwohl zu beweisen.
Tragen von Masken - ein Luxusproblem
Es stimmt, die Corona-Pandemie ist eine Nervensäge. Die Sonne wagt sich immer wärmer hervor, die Kontaktbeschränkungen bleiben. Die Außengastronomie öffnet, die Testerei bleibt. Die Infektionszahlen sinken, die AHA-Regeln bleiben. Wer sehnt sich nicht nach mehr Freiheit, nach dem "alten" Leben?
Doch für alle, die gerade auf der Intensivstation einer Klinik liegen, für diejenigen, die einen lieben Angehörigen durch eine Covid-Erkrankung verloren haben, für alle, die an Long-Covid leiden, klingt die Debatte über eine Aufhebung der Maskenpflicht im Einzelhandel zynisch.
Für alle Eltern, die sich fragen, warum ihre Kinder immer noch nicht durchgängig zur Schule oder Kita gehen dürfen, ist diese Debatte der reinste Hohn. So lange noch täglich mehrere Hundert Menschen in Deutschland in Folge einer Corona-Infektion sterben, ist das Tragen von Masken ein Luxusproblem.
- Wie sich die Inzidenzen entwickeln
Wo steigt die Corona-Inzidenz in Deutschland, wo sinkt sie? In unserem tagesaktuellen Tracker sehen Sie, wie sich die Inzidenz in Ihrem Landkreis entwickelt.