Heute hat das Bundesverfassungsgericht über Ausgangssperren, Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen entschieden. Was heißt das für aktuelle und zukünftige Corona-Maßnahmen?
Über 300 Beschwerden zur Bundesnotbremse bezüglich der Corona-Einschränkungen sind beim Bundesverfassungsgericht eingegangen. Das Gericht hat die Maßnahmen heute für rechtens erklärt.
Das höchste deutsche Gericht hat Verfassungsbeschwerden gegen die sogenannte Bundesnotbremse im Frühjahr abgewiesen. Der Staat habe mit Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen nicht gegen das Grundgesetz verstoßen, befand das Bundesverfassungsgericht an diesem Dienstag (AZ: 1 BvR 781/21, 1 BvR 971/21 und weitere).
Zwar beurteilten die Karlsruher Richter in der Sache allein die Maßnahmen der Bundesnotbremse, die von Ende April bis Ende Juni 2021 in Kraft war. Das Bundesverfassungsgericht legte aber zugleich Maßstäbe für die verfassungsrechtliche Wertung aktueller und künftiger Einschränkungen fest.
Sind Ausgangssperren in Zukunft möglich?
Das Gericht stellt klar: "Umfassende Ausgangsbeschränkungen kommen nur in einer äußersten Gefahrenlage in Betracht." Zur Beendigung der exponentiellen Entwicklung der Fallzahlen und zum Schutz des Gesundheitssystems vor Überlastung kann ein solcher Eingriff in die Grundrechte aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.
Was gilt für Kontaktbeschränkungen?
"Anderen Menschen überhaupt begegnen zu können, ist für die Persönlichkeitsentfaltung von konstituierender Bedeutung", so das Bundesverfassungsgericht. Trotzdem seien Kontaktbeschränkungen wirksame Mittel in der Pandemiebekämpfung. Daher können auch sie durchaus verhältnismäßig sein, wenn die Corona-Lage es erfordert.
Was sagt das Bundesverfassungsgericht zu flächendeckenden Schulschließungen?
Neu ist, dass das Bundesverfassungsgericht Schülern ein Grundrecht auf Bildung gegenüber dem Staat zuerkennt. Dieses beinhaltet einen "Mindeststandard", der während einer Hochphase der Pandemie auch durch Distanzunterricht erfüllt werden kann.
Was ist mit Geschäften, Gastronomie, Freizeit- und Kultureinrichtungen?
Über die Schließung solcher Einrichtungen hat das Bundesverfassungsgericht heute nicht entschieden. Es sind aber weitere Verfassungsbeschwerden zu diesen Punkten anhängig. Es wird noch weitere Entscheidungen zur Bundesnotbremse geben.
Wäre ein landesweiter Lockdown aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts in Ordnung?
Das Bundesverfassungsgericht hat sich nicht direkt mit der Frage beschäftigt, ob ein landesweiter Lockdown aktuell verfassungsrechtlich in Ordnung wäre. Dazu müsste der Bundestag ohnehin das Infektionsschutzgesetz ein weiteres Mal ändern.
Angesichts der Wertungen der heutigen Beschlüsse ist es denkbar, dass nächtliche Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen auch in Zukunft vom Bundesverfassungsgericht nicht verworfen würden, wenn eine entsprechende Notlage bestünde.
Welche anderen Maßnahmen sind noch möglich?
Das Bundesverfassungsgericht betonte den weiten Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers. Das Bundesverfassungsgericht darf wegen der Gewaltenteilung nicht die politische, sondern nur die rechtliche Dimension der Maßnahmen beurteilen.
Insbesondere wegen der unsicheren und sich ständig ändernden Faktenlage in der Pandemie sowie wegen der Bedeutung von Leben und Gesundheit billigt das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag eine besonders große Bewegungsfreiheit zu.
Welcher Trend zeichnet sich ab?
Das Bundesverfassungsgericht sagt eindeutig: Der Gesetzgeber muss in einer Pandemie Leib und Leben aller Bürger schützen. Es ist wichtig, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet wird:
Daher darf der Staat auch zu einschneidenden Maßnahmen greifen, wenn andere Mittel nicht (mehr) wirken. Die Bundesnotbremse galt ab einer 7-Tage-Inzidenz von 100. Heute haben wir eine Inzidenz um die 450, die Krankenhäuser sind am Limit. Verlegung, Priorisierung und Triage von Patienten werden täglich diskutiert.
Es besteht erneut eine Notlage - vielleicht sogar noch mehr als während der Zeit der Bundesnotbremse. Das bedeutet: Strenge Maßnahmen könnten jetzt erst recht verfassungsrechtlich erlaubt oder sogar geboten sein.
- Wie sich die Inzidenzen entwickeln
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