Der letzte Corona-Gipfel hat eine Notbremse in den Beschluss geschrieben: Steigen die Zahlen, werden die Regeln wieder strenger. Doch nicht alle Länder sehen es so eng.
Es ist schon ein bisschen zur Regel geworden, dass die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz - auch Corona-Gipfel genannt - im Nachhinein sehr unterschiedlich von den einzelnen Bundesländern ausgelegt und eben auch umgesetzt werden. Bei der letzten MPK waren die festgelegten Regeln zur vorsichtigen Öffnung und Lockerung der Corona-Maßnahmen jedoch gründlicher abgestimmt als das sonst der Fall war. Und eigentlich waren sie auch recht eindeutig formuliert:
"Steigt die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner an drei aufeinander folgenden Tagen in einem Bundesland oder einer Region auf über 100, treten ab dem zweiten darauffolgenden Werktag die Regeln, die bis zum 7. März gegolten haben, wieder in Kraft (Notbremse)."
So steht es im Beschluss vom 3. März. Entsprechend groß war das Aufschrecken, als auffiel, dass nicht alle Bundesländer diese Notbremse auch so deutlich in ihre eigenen Verordnungen übernommen haben - etwa Brandenburg:
Dort steht wörtlich:
Inzwischen wehrt sich die Brandenburger Landesregierung gegen die scharfe Kritik von SPD-Gesundheitspolitiker Lauterbach und auch gegen den Vorwurf, sie weiche im Alleingang die von Bund und Ländern vereinbarte "Corona-Notbremse" auf. Sollte sich der landesweite Wert einer Inzidenz von 100 beharrlich nähern, werde die Landesregierung entscheiden, welche konkreten Schritte ab Überschreiten der 100er-Linie über drei Tage ergriffen würden, teilte Regierungssprecher Florian Engels mit.
In einigen Landkreisen in Brandenburg liegt die Inzidenz aktuell über 100, etwa in Elbe-Elster und Oberspreewald-Lausitz.
Abweichungen auch in anderen Bundesländern
Leichte Abweichungen von der MPK-Notbremse gibt es auch in Sachsen-Anhalt: Hier sollen zwar die Regeln für private Treffen und den Aufenthalt im öffentlichen Raum verschärft werden, sobald die Corona-Inzidenz länger als drei Tage über 100 liegt, weitere lokale Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen sollen aber erst umgesetzt werden, wenn "die Rate der Neuinfektionen mit dem Coronavirus (...) den Wert von 200 je 100.000 Einwohner überschreitet und diese Inzidenz mindestens über einen Zeitraum von fünf Tagen andauert." Auch in Nordrhein-Westfalen bleibt die Verordnung in diesem Punkt etwas weicher.
Forscher sehen Gefahr in verspäteter Reaktion auf Infektionszahlen
Wie schwierig es ist, Fallzahlen in dieser Größenordnung wieder einzufangen, erklärt Sebastian Binder vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung auf Anfrage von ZDFheute: Das Problem dabei sei, dass die Maßnahmen, die heute ergriffen werden, sich erst zwei Wochen später in der Zahl der Neuinfektionen bemerkbar machen.
Gerade, wenn man sich in einer Phase des exponentiellen Wachstums befinde, könne der Unterschied in der Zahl der Fälle massiv sein, so Binder weiter.
Wie sehr sich das am Ende in absoluten Todeszahlen und Krankenhausbelegung niederschlägt, hänge von einer Vielzahl von Faktoren ab, beispielsweise der Altersverteilung oder dem Anteil der geimpften Personen insbesondere in Risikogruppen. Bei einer größeren Anzahl von Fällen sei unter ansonsten gleichen Bedingungen aber auch mit einer größeren Zahl von tödlichen Krankheitsverläufen und Krankenhausaufenthalten gegenüber einem früheren Zeitpunkt des Einschreitens zu rechnen.
Priesemann: "Riskieren, die gesamte Impfstrategie von vorne starten zu müssen"
Für Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation ist die Diskussion um eine Notbremse bei einer Inzidenz von 100 oder 200 ohnehin fehl am Platz. Sie hatte mit vielen WissenschaftskollegInnen schon früh für schärfere Maßnahmen ab einer Inzidenz von 50 plädiert. Man brauche die Notbremse dort, wo die Kontaktnachverfolgung nicht mehr funktioniere. Das könne bei den jetzigen Kontaktbeschränkungen vielleicht bei 50 sein.
Laut Priesemann ist der einzig verantwortungsvolle Weg der Lockerung, sich stets am Tempo der Impfkampagne zu orientieren, und das dann auch auf europäischer Ebene abzustimmen.