Die aktuellen Corona-Pläne zeigen vor allem eines: Wie viel Deutschland bisher versäumt hat. Die neuen Regeln verschleiern in erster Linie auch politisches Versagen.
Die Bund-Länder-Runde hat einige wenige neue Corona-Maßnahmen festgelegt. Schaut man sich einige der Punkte des Gipfels genauer an, könnte man sich diesmal jedoch etwas verschaukelt vorkommen.
Ein wichtiger Punkt: Testen. Im Beschlusspapier heißt es: "Die derzeit hohe und voraussichtlich weiter steigende Zahl der Neuinfektionen führt zu Engpässen bei den verfügbaren PCR-Tests [...]. Bei auftretenden Engpässen ist es daher unabdingbar, Priorisierungen vorzunehmen."
Geringe PCR-Testkapazität in Deutschland
Kurzum: Nicht jede Kontaktperson wird mehr Anspruch auf einen kostenlosen PCR-Test haben. Die "Nationale Teststrategie" soll angepasst werden - ein beeindruckender Euphemismus. Treffender wäre wohl eher der Begriff "Schadensbegrenzung".
Laut dem aktuellen RKI-Wochenbericht lag die PCR-Testkapazität in Deutschland zuletzt bei 2.827.517. In Wien beispielsweise sah die Strategie bereits seit 2020 anders aus: kostenlose PCR-Gurgel-Tests für alle. Allein Wien kann mit dieser Strategie mehr als 3,5 Millionen PCR-Tests pro Woche auswerten.
Wenn nun also von einer Priorisierung und einer neuen Strategie hierzulande gesprochen wird, die aufgrund der hohen Omikron-Inzidenzen nötig sei, ist das allenfalls die halbe Wahrheit. Die Priorisierung ist vor allem nötig, weil Deutschland viel zu wenig Testkapazitäten aufgebaut hat.
Wie es anders ginge, zeigt nicht nur Wien. In Dänemark liegt die Inzidenz aktuell bei ca. 4.700. Wer nun befürchtet in Deutschland ähnlich hohe Inzidenzen lesen zu müssen, kann wahrscheinlich beruhigt werden: Diese Zahlen werden mit einer derart geringen Testkapazität bei uns wohl nie gemeldet werden können. Gleichwohl betont die Bund-Länder-Runde: "Gleichzeitig müssen alle Anstrengungen unternommen werden, die PCR-Testkapazitäten zu erhöhen." Warum damit jetzt erst begonnen werden soll, obwohl das Erreichen dieses Punktes sehr absehbar war, bleibt offen.
Gesundheitsämter kapitulieren vor Omikron
Aber das Testen ist nicht die einzige Strategieanpassung der Politik. Auch bei der Kontaktverfolgung wird nachgeschärft. Auch hier sei eine "Priorisierung sinnvoll und notwendig". So kann man Kontrollverlust auch beschreiben. Im Beschlusspapier ist die Rede von den "beschränkten Kapazitäten der Gesundheitsämter". Auch hier bleibt die Frage unbeantwortet, warum diese Kapazitäten nach zwei Jahren weiterhin so "beschränkt" sind?
- Was tun bei überlastetem Gesundheitsamt?
Die Omikron-Welle überlastet die Gesundheitsämter. Teils werden nicht alle Kontakte nachverfolgt, Quarantäneanordnungen kommen verspätet. So können sich Bürger dennoch informieren.
Was allerdings klar ist: Viele Gesundheitsämter in Deutschland kommen zunehmend nicht mal mehr ansatzweise mit der Kontaktverfolgung hinterher. Dauerhaft überlastete Hotlines und quasi kaum noch eine Chance Kontaktpersonen zu erfassen: Gefragt ist nun mal wieder die viel zitierte Eigenverantwortung der Bürger.
"Gesundheitswesen digital auf gehobenem Brieftauben-Niveau"
Wie bei vielen Problemen in Deutschland ist auch hier ein Schlagwort nicht weit: Digitalisierung. Auf diese Problematik - gerade mit Blick auf das Gesundheitswesen - wies im Vorfeld auch der Corona-Expertenrat hin. Aber auch das gehen Bund und Länder jetzt an. Also wirklich. Im Beschlusspapier wird dies wie folgt beschrieben:
Gute Idee, wenn man bedenkt, dass Christian Karagiannidis (Leiter des Divi-Intensivregisters) "das Gesundheitswesen digital auf gehobenem Brieftauben-Niveau" sieht.
Ein Beispiel, dass dieses Brieftauben-Niveau in der Omikron-Welle problematisch werden kann, hat mein Kollege Robert Meyer zuletzt noch einmal kompakt zusammengefasst: Die Hospitalisierungsrate im Herbst war fast so hoch wie während der zweiten Welle. In den Daten hat man es damals aber nicht gesehen - der tagesaktuell gemeldete Wert fiel nur halb so hoch aus.
Das ist also die deutsche Strategie in der aktuellen Welle: geringe Testkapazitäten, eingeschränkte Kontaktverfolgung und Indikatoren, die Wochen später den Sachstand liefern. Und damit auf in den Omikron-Nebel der nächsten Wochen.
Jan Schüßler arbeitet als Redakteur für ZDFheute.
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