Wer behauptet, die israelische Regierung sei verantwortlich, dass Corona-Impfungen an Palästinensern im Westjordanland und Gaza noch nicht anlaufen, unterschlägt wichtige Details.
Die Gegensätze könnten größer nicht sein. Während im monatelang stark von der Corona-Pandemie betroffenen Israel die Impfkampagne inzwischen erfolgreich anläuft, warten in den benachbarten palästinensischen Autonomiegebieten Millionen Menschen weiterhin auf erste Impfstoff-Lieferungen.
Aktivisten suggerieren, die israelische Regierung trage dafür als Besatzungsmacht eine Verantwortung. "Die israelischen Behörden müssen ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen und die Versorgung mit qualitativ hochwertigen Impfstoffen sicherstellen", heißt es in einem gemeinsamen Aufruf mehrerer israelischer und palästinensischer Nichtregierungsorganisationen. Auch ZDFheute und andere Medien hatten solche Darstellungen in einem Agenturbericht aufgegriffen.
Das ist jedoch eine verkürzte Darstellung, die Schuldzuweisung nicht so einfach.
Russischer Impfstoff soll bald kommen
In den Gebieten außerhalb der zahlreichen jüdischen Siedlungen im Westjordanland und im Gazastreifen ist die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) für die Gesundheitsversorgung und andere Bereiche der zivilen Verwaltung verantwortlich. Das umfasst auch die Planung und Durchführung von Impfkampagnen gegen Covid-19 und andere Krankheiten.
Bis heute gibt es in diesen Gebieten keine Impfungen gegen das Coronavirus. Um Hilfe bei der israelischen Regierung hat die PA aber bislang nicht gebeten:
Die PA in Ramallah hat zwar bereits Kontakt mit mehreren Herstellern aufgenommen, geliefert wurde allerdings noch nichts.
Steven Höfner, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah, berichtet ZDFheute, dass die PA auf eine Lieferung von vier Millionen Dosen des russischen Impfstoffs Sputnik V Anfang 2021 gehofft hatte. "Doch ein Telefonat zwischen Präsident Abbas und Präsident Putin letzte Woche senkte die Erwartungen drastisch." In den nächsten Wochen könnten lediglich 200.000 Impfdosen geliefert werden, so Höfner.
Impfungen auch für arabische Israelis
Mit 7,44 Impfungen je 100 Einwohner (Stand 29. Dezember) hat Israel mit Abstand die am schnellsten laufende Impfkampagne weltweit. Das kommt auch den rund 1,9 Millionen arabischen Israelis zugute, die als israelische Staatsbürger den gleichen Zugang zu Impfstoffen haben.
Darüber hinaus impft Israel auch jene Palästinenser vor allem aus Ostjerusalem, die zwar einen israelischen Personalausweis, aber keine israelische Staatsbürgerschaft besitzen. Mehr als 600.000 Menschen wurden in Israel seit dem 20. Dezember geimpft.
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Kaum Budget für Impfstoff-Kauf vorhanden
Mit 28 Dollar je Impfdose des Herstellers Pfizer zahlt Jerusalem dafür einen deutlich höheren Preis als etwa EU und USA. Acht Millionen Pfizer-Dosen, außerdem sechs Millionen von Moderna hat die israelische Regierung eingekauft.
Die PA ist dazu nicht in der Lage:
Ihr Defizit wird in diesem Jahr laut Weltbank rund 760 Millionen US-Dollar betragen. Deshalb hofft die Autonomiebehörde auch über das WHO-Impfstoffprogramm Covax Zugriff auf günstige Dosen zu erhalten. Doch auf dessen Warteliste stehen viele Schwellen- und Entwicklungsländer. Es könnte noch Monate dauern, bis Mittel der Covax-Allianz bereitstünden, so Höfner.
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Impfungen sind auch im Sicherheitsinteresse Israels
Trotz des Konfliktes sind Israel und die Palästinensergebiete wirtschaftlich eng verzahnt. Von Handel und Arbeitsmigration profitieren beide Seiten. KAS-Leiter Höfner betont: "Eine Verschlechterung der Gesundheitslage in den palästinensischen Gebieten kann aufgrund des wirtschaftlich engen Austauschs über die grüne Linie hinweg die israelischen Bemühungen zur Eindämmung der Pandemie beeinflussen."
Es sei also weniger eine Frage, wer unmittelbar für die Durchführung der Impfkampagne verantwortlich sei, sondern wie man die Auswirkungen der Pandemie effektiv bekämpft.
Ein weiteres Problem der PA sei dabei die teils geringe Impfbereitschaft der Bevölkerung. "Im Gegensatz zum Gazastreifen, wo eine hohe Impfbereitschaft gegen Covid-19 besteht, hat ein Großteil der Palästinenser im Westjordanland kein Vertrauen sowohl in die Impfstoffe wie auch in ihre eigene Regierung", berichtet Höfner.
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von Michael Bewerunge