Thüringens Ministerpräsident Ramelow hat im ZDF bedauert, dass einzelne Bundesländer nach gemeinsamen Corona-Beschlüssen ausscheren. Über sich selbst ärgere er sich ebenfalls.
Thüringens Ministerpräsident Ramelow gesteht im ZDF-Interview, im Umgang mit Corona zu "hoffnungsvoll" gewesen zu sein.
ZDF: Zuerst beschließen Bund und Länder Corona-Regeln, dann machen die Länder doch wieder, was sie wollen. Zum Teil werden die Kinder jetzt doch wieder in die Schule geschickt. Anderswo kann die 15 Kilometer Regeln nicht eingehalten werden. Bei Ihnen in Thüringen, haben Sie da auch Schwierigkeiten, das durchzusetzen? Wie sinnvoll ist das? Das Virus ist ja nicht föderal.
Bodo Ramelow: Das stimmt einfach. Das Problem ist einfach: Wir sind Menschen, und Menschen neigen dazu, immer den leichteren Weg oder den für sie vielleicht hoffnungsvolleren Weg zu gehen.
Wir müssen einfach der Tatsache ins Auge sehen, dass das Virus jetzt erst anfängt, richtig Fahrt aufzunehmen. Und wir haben die englische Mutation noch gar nicht in Deutschland. Ich merke, dass bei mir in Thüringen gerade die Hütte brennt.
Heute ist für mich ein schlimmer Tag, denn heute haben wir ganz Thüringen, die 300er Inzidenz überschritten. Und alle Landkreise und kreisfreien Städte sind über die 200er Inzidenz gegangen. Es ist kein Platz mehr für Lockerungen und die Debatte von der Lockerung zur Lockerung.
ZDF: Sie haben den Vorschlag gemacht oder gefordert, dass man nun in einem richtigen Lockdown geht. Aber da machen Ihre Koalitionspartner und macht die CDU nicht mit. Das werden Sie nicht durchsetzen können, oder?
Ramelow: Nein, ich will das klarstellen. Ich habe nicht gefordert, dass wir isoliert einen Lockdown in Thüringen machen, sondern ich habe deutlich gesagt, dass ich im Dezember den Fehler gemacht habe, nicht darum zu kämpfen, als die Bundeskanzlerin davon sprach, dass wir im Dezember ganz Deutschland runterfahren sollten.
Kontaktminimierung ist das Zauberwort. Wir brauchen weniger Kontakte. Wir brauchen weniger Menschen, die im öffentlichen Nahverkehr unterwegs sind. Wir brauchen mehr Homeoffice.
Und mein Appell an die Thüringer Wirtschaft ist, möglichst alles zu unterlassen, was im Moment nicht notwendig ist, vielleicht ein paar Aufträge zu schieben und vielleicht sich darum zu kümmern, dass weniger Menschen zueinander kommen, miteinander sitzen, miteinander in die Pause gehen oder zusammen Zigarette rauchen.
Beim Corona-Management zeigt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow Reue: "Die Kanzlerin hatte recht", sagte er bei "Markus Lanz".
ZDF: Diesen Appell gab es ja auch bei den Corona-Beschlüssen: Wir appellieren an die Wirtschaft. Wer kann, sollte ins Homeoffice. Aber das passiert ja offenbar nicht. Im März wollen Sie dann in einem Gesetz vorschlagen, dass man dann die Wirtschaft dazu zwingen kann. Das scheint juristisch kompliziert zu sein.
Ramelow: Das weiß ich nicht, ob es juristisch kompliziert ist. Denn eins ist ganz klar: Wer eigentlich zu Hause Arbeiten erledigen könnte und es nicht genehmigt kriegt, dafür habe ich kein Verständnis. Alle, die zu Hause arbeiten könnten, sollten jetzt bitte zu Hause bleiben.
Denn das, was völlig unterschätzt wird in der Debatte in Deutschland: Wir reden immer nur von den vulnerablen Gruppen. Man meint damit nur die älteren Menschen und übersieht, dass viele junge Menschen mittlerweile in den Krankenhäusern ankommen und behandlungsbedürftig sind. Und auf den ITS-Stationen liegen, also in den Beatmungs-Betten liegen.
Das heißt, unsere Krankenhauslandschaft, die direkt am Patienten arbeitet, braucht auch eine Reduktion des Ansteckungsgeschehens. Damit wir die Entlastung in der Zeitachse hinkriegen, damit das Impfen noch anfängt, mehr Schwung zu kriegen. Wir brauchen also beides. Wir brauchen jetzt Entscheidungen, und wir brauchen eine Zeitperspektive, die bis ins Frühjahr trägt.
ZDF: Die Wirtschaft, der Arbeitgeberpräsident, hat sich heute zu Ihrer Forderung nach mehr Homeoffice geäußert. Und auch die CDU in Thüringen und nicht nur dort sagt: Damit wird die Wirtschaft so kaputtgemacht, das kriegt man dann nicht mehr eingeholt, wenn man jetzt wirklich richtig stilllegt und wirklich die Leute nach Hause schickt.
Ramelow: Man muss es verfassungsrechtlich auch mal umdrehen. Wir haben vor zehn Wochen entschieden, dass die Gastronomie, die Hotellerie, vor acht Wochen haben wir entschieden, dass die privaten Dienstleistungen, die personenbezogenen Dienstleistungen, vor sechs Wochen haben wir entschieden, dass der Einzelhandel stillgelegt wird.
Und trotzdem steigen die Infektionszahlen. Und alle von mir genannten Wirtschaftszweige haben gesagt: 'Bei uns ist es nicht passiert'.
Und das Virus interessiert sich dafür nicht. Das Virus springt von Körper zu Körper. Deswegen kann man wohlfeil darüber reden, dass wir nichts machen müssten und dass die Wirtschaft kaputt geht. Wenn ich mir aber angucke, wieviele Menschen dauerhaft erkranken und wieviel Menschen später langfristige körperliche Schäden haben. Und da reden wir eben nicht über ältere Menschen.
Ich kann es auch nicht mehr ertragen, dass man immer nur sagt: 'Der Schutz der älteren Menschen.' Und man vergisst die ganzen jungen Menschen, die im Moment in den Krankenhäusern liegen. Es geht um ein Virus, das eine Lungenkrankheit auslöst.
Und gegen diese Lungenkrankheit haben wir immer noch kein Medikament. Zum Glück haben wir jetzt Impfmittel. Davon brauchen wir mehr. Aber ich habe keine Lust, mich über die Impfstoffmengen derzeit zu streiten, weil wir uns freuen über jedes Impfmittel, das wir jetzt mehr kriegen.
ZDF: Zumal die Länder sich ja auch durchaus schwer damit tun, das, was an Impfmitteln da ist, auch schnell an Mann und Frau zu bringen. Es ist ja eine auf mehreren Ebenen eine schwierige Aktion.
Ramelow: Ja, aber da haben wir in Thüringen ein spezielles Problem.
Nur unsere Krankenhäuser haben immer noch nicht die richtige Schnittstelle, um das zeitnah ans RKI zu melden. Das ist ein Problem, das haben wir zu vertreten. Das ist ein Meldeproblem, aber kein Imageproblem.
Ich bin froh, dass mein Appell an die Beschäftigten in den Krankenhäusern jetzt gefruchtet hat und dass die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, in den Krankenhäusern drastisch in den letzten Tagen gestiegen ist. Dafür bin ich sehr dankbar.
Das Interview führte heute journal-Moderatorin Marietta Slomka.