Geht es um die Corona-Pandemie, geht es auch um Pflege. Um Maßnahmen, damit Krankenhäuser es schaffen. Applaus und Bonus: Intensivpfleger Ricardo Lange kann es nicht mehr hören.
Ricardo Lange haut nichts so schnell um. Er arbeitet seit zwölf Jahren auf Intensivstationen, kennt Krankheit und Tod. Er mag seinen Beruf. Doch was er und seine Kollegen seit fast zwei Jahren Corona-Pandemie erleben, frustriert ihn und eine ganze Branche zutiefst.
Lange ist in diesem Jahr so etwas wie das Gesicht der Pflegekräfte geworden. Soll mal jemand sagen, wie es wirklich auf den Stationen in den Krankenhäusern ist, wird er gefragt. Als "Doppelmoral" empfindet er das, was sich zurzeit abspielt.
Wenn jetzt nichts passiert, wann dann?
Der Pflegenotstand werde beklagt. Doch noch nicht einmal den ersten versprochenen Pflegebonus haben alle bekommen - Ricardo Lange auch nicht. Der zweite, von der neuen Ampel-Koalition als erste Maßnahme nach der Amtsübernahme, ist verschoben worden. Weil man nicht weiß, wer ihn alles bekommen soll. Dabei geht es den Pflegekräften nicht nur ums Geld.
35-Stunden-Woche, echtes Bemühen, die Aussteiger zurückzuholen, bessere Gehälter, damit der Beruf für Einsteiger attraktiv werde:
Und viele in seiner Branche fragten sich wie er: Wenn jetzt nichts passiert, nach zwei Jahren Pandemie und zwei Jahren, in den alle Lücken sichtbarer denn je sind, "dann passiert später erst recht nichts". Das sei frustrierend.
Lauterbach: Tiefe Schuld der ganzen Gesellschaft
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte in einer Weihnachtsbotschaft per Video die Pflegekräfte noch einmal um Geduld gebeten. Er wisse, sagte Lauterbach, in welcher "tiefen Schuld" die ganze Gesellschaft stehe. Den Pflegekräften gebühre "mehr als das, was wir derzeit bieten können".
Lange findet, man muss der neuen Regierung eine Chance geben, ob sie das, was sie sagt, auch ernst meint. Euphorisch ist der 40-Jährige nicht.
Viel Aufmerksamkeit, aber auch leere Versprechungen
Denn mit Versprechungen hat Lange in diesem Jahr keine guten Erfahrungen gemacht. Der Intensivpfleger hat einen fast schon schlichten Anspruch: Er will seine Arbeit wieder so machen können, wie er es gelernt hat: "Dass man für den Patienten da sein und ihm gerecht werden kann. Dass die Arbeit wieder das wird, wie sie sein soll: nämlich menschenwürdig. Dass man sich um die Menschen kümmern kann, wie sie es auch verdient haben."
Lange wollte nicht nur still schimpfen. Er hat beim Berliner "Tagesspiegel" über seinen Alltag in einer Kolumne geschrieben. Er war mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Bundespressekonferenz. Es gab einen Podcast, gerade schreibt er ein Buch, das im Januar erscheint. Aufmerksamkeit bekommt er.
Aber nicht nur positive. Kollegen haben hinter seinem Rücken gelästert, ihm unterstellt, er bekäme für Interviews Geld. Es gab böse Kommentare auf seinen Social-Media-Kanälen. Ein Krankenhaus sperrte den Pfleger, der über eine Zeitarbeitsfirma angestellt ist. Politiker meldeten sich bei ihm, sein Jugendidol, Bodybuilder Ralf Moeller, auch. Auf das versprochene gemeinsame Training wartet er bis heute.
Ebenso wie auf den Preis der Apotheker- und Pharmaindustrie, die ihn für sein Engagement auszeichnete.
Nicht alle sind so. Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht frage regelmäßig, wie es ihm geht. Die Linke hat ihn auch für die Bundesversammlung nominiert, um den nächsten Bundespräsidenten zu wählen. "Eine Ehre", sagt Lange. Die er auch für jede andere Partei angenommen hätte.
- Wie die Lage auf den Intensivstationen ist
Wie viele Intensivbetten sind belegt? Wie viele Corona-Patienten liegen auf den Intensivstationen? Wie hoch ist die Hospitalisierungsinzidenz? Die Daten im Überblick.
"Nicht damit angefangen, um aufzuhören"
Lange versucht, sich an die Kollegen zu halten, die ihn in seinem Engagement unterstützen. "Ich habe nicht damit angefangen, um jetzt damit aufzuhören." Zu viel gibt es noch, was ihn ärgert. Die Impfpflicht für Pflegekräfte zum Beispiel.
Auf seine Branche werde mit dem Finger gezeigt, aber niemand sehe, dass auch ihre Gesundheit durch Ungeimpfte auf den Intensivstationen gefährdet sei. Lange kennt zwei Kollegen, die an Covid-19 gestorben sind. "Die Politik sollte erstmal ihre Hausaufgaben machen, bevor sie irgendwelchen Berufsgruppen eine Impfpflicht auferlegt", findet er. Und wenn schon Impfpflicht sein müsse, "dann für alle".
Ricardo Lange ist einer von 1,5 Millionen Beschäftigten in der ambulaten und stationären Pflege. Bis zum Jahr 2035 fehlen - das ergibt eine Prognose des Deutschen Instituts für Wirtschaft - 500.000 Fachkräfte wie er.
Erinnert ihr euch noch an den Anfang der Corona Pandemie, als viele von uns an unseren Fenstern standen und anerkennend für die krasse Arbeit geklatscht haben, die Pflegekräfte in Deutschland während der Pandemie leisten? Denn in der Pflege zu arbeiten, …