Deutschland verschärft vielerorts den Shutdown - das Saarland geht eigene Wege. Regierungschef Hans erklärt, warum er es für falsch hält, den Kampf gegen Corona zentral zu steuern.
ZDFheute: Sie haben eine Strategie, die heißt "Impfen - Testen - Öffnen". Wie ist es mit dem Öffnen, was gilt ab Dienstag?
Tobias Hans: Wir werden im Saarland ab Dienstag mit unserem Saarland-Modell, das auf Impfen und Testen setzt, auch erste Anreize setzen können, damit Menschen wieder ihre Freiheiten zurückbekommen, die ihnen zustehen. Das sind sehr kleine und vorsichtige Schritte. Man kann zum Beispiel in einem Eiscafé zusammensitzen, wenn man einen negativen Test hat. Oder man kann im Fitnessstudio nach Terminvereinbarung und mit einem negativen Test etwas für seine Gesundheit, auch sein Immunsystem tun, etwas, das in dieser Pandemie auch etwas zu kurz kommt, da wir Vieles untersagt haben, was eigentlich hilft in der Pandemiebekämpfung.
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Wir setzen auf diese vorsichtigen Öffnungsschritte mit dem einzigen Ziel, Menschen dazu zu bringen, sich regelmäßig zu testen, weil wir aus wissenschaftlichen Studien wissen, dass regelmäßig Getestete ein hohes Potential haben, die Pandemie nicht weiter anzutreiben. So etwas kann gesamtgesellschaftlich den R-Wert um 0,8 senken.
ZDFheute: Das Projekt soll wissenschaftlich begleitet werden - wer macht das und wie sieht das aus?
Hans: Wir sind im Moment in engem Kontakt mit Wissenschaftler*innen saarländischer Hochschulen und mit unserer Landesdatenstelle, die ebenfalls wissenschaftlich geführt ist. Wir besprechen mit ihnen das Monitoring. Was wichtig ist, wenn dieses Modell auch Erfolg haben soll, in ganz Deutschland und anderen Bereichen.
Es wird jetzt sehr viel darauf geschaut, deshalb muss auch klar nachgewiesen werden, wie sich dieses Testen und schrittweise Öffnen auf die Entwicklung der Pandemie auswirkt. Das ist das, was wir gewährleisten werden mit den Wissenschaftler*innen.
ZDFheute: Die Gastronomie und auch andere Unternehmen haben gesagt, dass es für sie sehr schwierig ist, sich an dieses Modell anzupassen. Sie öffnen am Dienstag, und wenn die Inzidenzzahlen drei Tage in Folge steigen, müssen sie wieder zumachen. Was können Sie ihnen mitgeben?
Hans: Erst mal ist es nicht so. Sie schließen nicht wieder, wenn die Inzidenzzahlen über 100 klettern. Zunächst gibt es dann eine erweiterte Testpflicht. Das bedeutet, man braucht einen negativen aktuellen Test auch im Einzelhandel - außer Lebensmittel und Grundbedürfnisse - und wenn man zum Friseur geht. All das trägt erst mal dazu bei, dass noch mehr Menschen sich testen lassen. Das wird natürlich auch Menschen fernhalten von den Einzelhändlern. Wir reduzieren damit Kontakte.
Auch auf die Gastronomie hat es zunächst keine Auswirkung. Sie kann weiter geöffnet bleiben. Im Außenbereich mit negativem Test. Lediglich wenn wir eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems feststellen - das ist kein Automatismus - werden wir uns natürlich auch weiteren Lockdown-Maßnahmen nicht verschließen. Das ist aber selbstverständlich. Damit muss man in einer Pandemie nach wie vor rechnen.
ZDFheute: Es gab ja Kritik von Angela Merkel, auch an Ihre Adresse gerichtet. Sie sagt, wir können jetzt nicht lockern, wir müssen eigentlich alles wieder dicht machen. Haben Sie das als Kritik oder als Anregung wahrgenommen?
Hans: Ich habe mich immer an den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz orientiert. Erstens hatte ich gesagt, dass mit einer Osterruhe danach auch ein Systemwechsel verbunden sein muss. Und im MPK-Beschluss ist festgehalten, dass wir, wenn die Inzidenzen stabil sind, auch Bereiche wie die Außengastronomie öffnen.
Wir halten uns an diesen Beschluss, und wir wollen mit diesem modellhaften Vorhaben hier an der Saar auch dazu beitragen, dass davon deutschlandweit auch andere, mildere Möglichkeiten ausgelotet werden, um die Pandemie zu bekämpfen.
Und wir stellen fest, dass nach 13 Monaten im Lockdown, mit der Verfügbarkeit neuer Methoden - mehr impfen, mehr testen, digitale Apps zur Nachverfolgung, die wir im Saarland hier bereits einführen - wir Dinge an der Hand haben, die uns helfen, die Menschen stärker einzubeziehen. Meine Rückmeldung aus der Bevölkerung ist, dass das die Menschen auch erwarten.
ZDFheute: Es gab darüber hinaus den Vorschlag, dass man eine bundeseinheitliche Lösung findet. Das wurde heute noch mal bekräftigt. Sehen Sie das als sinnvoll an?
Hans: Das Saarland war zu Beginn der Pandemie das erste Bundesland, das Ausgangsbeschränkungen gemacht hat zusammen mit Bayern. Wir waren das erste Bundesland, das Schulen geschlossen hat, weil wir besonders stark betroffen waren.
Dann, wenn es drauf angekommen ist, aufgrund eines einheitlichen Infektionsgeschehen auch bundeseinheitlich zu agieren, haben wir uns nie verschlossen. Wir waren immer bei denjenigen, die besonders harte Maßnahmen ergriffen haben, aber das muss sich dann auch auszahlen.
Derzeit haben wir eine niedrigere Inzidenz, als das im Bundesschnitt der Fall ist. Und deswegen können wir den Menschen die Dinge, die wir ihnen schon in vielen Beschlüssen der MPK zugesagt haben, nicht mehr verwehren. Also braucht es auch ein regionalisiertes Vorgehen.
Alle Ministerpräsident*innen haben sich zum Ziel gesetzt, die Pandemie in ihrem Land zu bekämpfen. Und es gibt einfach Unterschiede. Im Saarland haben wir kleinräumliche Strukturen. Ausgangsbeschränkungen auf einzelne Landkreise bezogen wäre Makulatur.
Und deswegen halte ich, bei allem Wunsch nach Einheitlichkeit, ein zentral gesteuertes Vorgehen nach einem Jahr in der Pandemie für das falsche Signal.
Das Interview führte Susanne Freitag-Carteron, Leiterin des ZDF-Studios Saarland.
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