Während Mediziner vor einer Corona-"Tsunami-Welle" in Sachsen warnen, fürchtet sich manch Bürger eher vor einer neuen "Flüchtlingswelle". Eindrücke aus dem Erzgebirge.
Eine "Tsunami-Welle" sah Christoph Josten, Medizinischer Vorstand der Leipziger Universitätsklinik, auf die Sachsen zurollen. Anfang November war das. Inzwischen ist die Corona-Welle angekommen: Die täglich im Freistaat gemeldete Zahl an Neuinfektionen liegt bei mehr als 6.000.
"An der Corona-Front mitgekämpft bis zum Umfallen"
Wie in anderen Hochinzidenz-Regionen Deutschlands füllen sich in Sachsen die Klinikbetten zunehmend mit Covid-19-Patienten. Einige Krankenhäuser müssen auch wegen fehlenden Personals bereits wieder wichtige Operationen verschieben, um Covid-Notfälle versorgen zu können.
Eine Krankenschwester, die, wie sie sagt, an der "Corona-Front mitgekämpft" hat "bis zum Umfallen" und schließlich ihre Stelle kündigte, spricht mit ZDFheute während eines Treffens in Freiberg über ihre Beweggründe:
Die Mitvierzigerin, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen will, sagt, sie wolle nach 30 Dienstjahren "mit diesem Elend nichts mehr zu tun haben" und suche nach einem beruflichen Neuanfang.
Sie wirkt wie ein Mensch, der eine schwere Last trägt: "Eigentlich habe ich geliebt, was ich gemacht habe, aber es ging einfach nicht mehr", sagt sie.
Bürgermeister: Politik läuft der Corona-Welle nur nach
Dirk Neubauer, Bürgermeister der Stadt Augustusburg, beschreibt das aktuelle Pandemiegeschehen so: "Die Lage ist katastrophal." Das mag übertrieben klingen. Aber der 50-Jährige kann viele Gründe für seinen Befund benennen - lokal wie regional.
Da sind zunächst - lokal - die aktuellen Corona-Fälle beim Personal und einer Bewohnerin des Seniorenhauses und einer Kindertagesstätte. Neubauer fürchtet, dass das Virus bei den "Schwächsten der Gesellschaft", den Alten und Kranken - und bei den Jüngsten - wütet.
Und da sind - regional betrachtet - Neubauers Sorgen vor "überlaufenden Krankenhäusern" und einer der Welle "hinterherlaufenden" Politik, die so tue, "als wäre alles nicht so schlimm", wie der Bürgermeister es formuliert.
Sachsen ist erneut Corona-Hotspot mit einer Inzidenz von fast 500. Obwohl einige Kliniken mittlerweile von Bundeswehrsoldaten unterstützt werden, sehen Experten die Belastungsstufe kurz bevorstehen.
Flammendes Plädoyer für flächendeckende Corona-Tests
Dieser Gedanke treibt Neubauer nicht nur tiefe Sorgenfalten auf die Stirn, er bringt ihn in Rage. Er sagt: "Wir müssen die Welle brechen, schnell" und fordert von der Landespolitik die Rückkehr zu verpflichtenden Corona-Tests für alle:
Für solche Ansagen erhält Neubauer viel Zuspruch, aber es gibt auch Menschen, die er trotz aller Mühen und Angebote nicht erreicht, die nur sagen: "Die Politiker sollen uns alle in Ruhe lassen!"
"Corona? Wir haben andere Probleme!"
Das Gefühl, von der Politik gegängelt und auch "irregeführt" zu werden, teilen viele Menschen in Mittelsachsen miteinander. Selbst Lokalpolitiker wie der parteilose Neubauer, der 2020 mit fast 70 Prozent der Wählerstimmen im Amt bestätigt worden ist, spüren ein "tiefes Misstrauen" vieler Bürger "der Politik gegenüber".
Die Pandemie hat das noch verschärft. "Corona? Wir haben hier andere Probleme", sagt etwa ein Handwerker in Dorfchemnitz, obwohl der Ort nahe der deutsch-tschechischen Grenze mit einem Wert von 2836,4 laut sächsischem Gesundheitsministerium zuletzt die höchste Corona-Inzidenz im Freistaat aufgewiesen hat.
Als "echte Probleme" zählt der Handwerker auf: "Das Leben wird immer teurer - und jetzt wollen wieder Tausende Iraker, Syrer und Afghanen zu uns. Und unsere Politiker in Berlin gucken nur zu, wie die Leute durchmarschieren."
AfD-Bundestagsabgeordnete lenkt Fokus auf Migranten
Der Mann verschränkt die Arme, lehnt sich an seinen frisch geputzten Transporter und sagt: "Ich hab‘ generell nichts gegen Ausländer, aber es muss doch alles ein bisschen geordnet zugehen. So, wie es jetzt alles da drüben in Polen und Weißrussland abläuft, ist das nicht mehr normal."
Drastischer kommentiert eine andere Frau aus Dorfchemnitz die Bilder von der Ostgrenze Polens. Ihr Name: Carolin Bachmann, frisch gewählte AfD-Direktkandidatin des Wahlkreises Mittelsachsen. Die 33-Jährige sieht in den Migranten nur "aggressive Invasoren" - so schreibt sie es auf ihrer Facebook-Seite.
Harte Wortgefechte, im Netz und auf der Straße
Eine Frau kommentiert daraufhin: "DAS ist die vierte Welle. Wir werden wieder abgelenkt mit Horror-Inzidenzen." Solche Gedanken wirken für viele nicht abwegig, wecken aber auch Widerspruch. Die Wortgefechte sind hart. Im Netz, wie draußen auf der Straße. Ob beim Migrations- oder dem Corona-Thema.
Dirk Neubauer wünscht sich indes den vollen Fokus aller Politikerinnen und Politiker auf den Kampf gegen die Corona-Pandemie. Den Bürgern ruft er zu, vorsichtig zu sein: "Rollt die Welle weiter, ist ein Lockdown schlicht die letzte Möglichkeit. Ihr entscheidet!"
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