Schweden ist in der Corona-Pandemie einen Sonderweg mit Appellen statt Einschränkungen gegangen. Die Inzidenzen sind vergleichsweise niedrig. Woran liegt das?
Die Impfquote ähnelt der in Deutschland. Einen Lockdown gab es nicht, Masken waren nur zeitweise Pflicht. Trotzdem bleibt eine neuerliche Corona-Welle in Schweden bislang aus.
Das Leben in Schweden läuft eigentlich trotz Corona wie immer, sagt Familie Axelsson, die mit ihren beiden acht und elf Jahre alten Söhnen gerade den Wocheneinkauf in einem Stockholmer Supermarkt erledigt hat.
Seit zehn Jahren arbeiten die Axelssons im Gesundheitswesen. Durch ihre Arbeit in einem Stockholmer Krankenhaus haben sie einen genauen Blick auf die Lage ihrem Land, auf das viele andere Europäer lange durchaus skeptisch geschaut haben. Stichwort schwedischer Sonderweg.
In der ersten Welle: Appelle statt Verbote
Während in der ersten Welle der Lockdown überall Standard war, blieb in Schweden alles, wie es ist: Geschäfte und Schulen geöffnet, keine Maskenpflicht - dafür der Appell der Gesundheitsbehörde und ihres Chefs Anders Tegnell, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Abstand, Home-Office, wo immer es geht. Ein Modell, das die Schweden gerne annahmen.
- Was vom schwedischen Sonderweg bleibt
Die Inzidenz in Deutschland sinkt unter 50, während sie in Schweden zuletzt bei 168 lag. Ist der schwedische Sonderweg gescheitert?
Doch die erste Corona-Welle im Frühjahr 2020 hat dennoch tiefe Spuren hinterlassen, sagt Jonas Axelsson. Allein bis Juli 2020 des Jahres starben 5.500 Menschen, im Vergleich mehr als in allen anderen europäischen Ländern.
Schweden war eben auf diese Pandemie kaum vorbereitet. Trotz hervorragenden Gesundheitssystems fehlte die richtige Strategie, es gab etwa am Anfang keine Masken für Klinikpersonal und vieles mehr.
Und jetzt, in der vierten Welle, die überall heftig zuschlägt?
In Schweden mit seinen rund 10,2 Millionen Einwohnern brauchen derzeit "nur" rund 30 Covid-19-Patienten intensivmedizinische Betreuung. Seit Sommer bleiben die Zahlen niedrig. Mit rund 60 Neuinfektionen hat das Land derzeit die niedrigste Inzidenz der EU.
Warum das so ist, ist noch nicht genau geklärt. An der Impfquote liegt es wohl nicht. Sie ist mit knapp 69 Prozent kaum höher als in Deutschland. Allerdings ist in Schweden die Zahl der Menschen, die bereits mit Corona infiziert waren, mit knapp zwölf Prozent beinahe doppelt so hoch wie in Deutschland.
2G oder gar 3G ist in Schweden nicht geplant
Ende September sind zwischenzeitlich eingeführte Corona-Maßnahmen und Empfehlungen wieder aufgehoben worden. In Clubs, Kinos, Bars und Restaurants darf jeder rein. Personendaten werden nicht erfasst, es gibt keine Abstände zwischen den Tischen - bisher ist das Vorzeigen eines Impfzertifikats nicht nötig. Angesichts dessen ist keine 3G- oder gar 2G-Regel geplant.
Die Axelssons selbst haben in der Pandemie bisher doppelt so viel gearbeitet wie in der Zeit davor. Sie können nur spekulieren, warum es im Vergleich gerade gut aussieht. "Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen", sagt Jonas Axelsson, "aber in Schweden haben viel mehr Menschen Covid gehabt, also gibt es auch mehr Antikörper in der Bevölkerung."
Also Herdenimmunität? Da bleiben die schwedischen Behörden nach wie vor zurückhaltend. Positiv bewertet Axelsson das kontinuierliche Handeln der Politik in der Krise und das gelassene Verhalten seiner Landsleute. Große Familienfeiern auf dem Land sind selten, die Abstandsregeln waren nie ein umstrittenes Thema.
Schweden ist dünn besiedelt - in Ballungsräumen aber auch hohe Inzidenz
Einen weiteren Grund für die aktuelle Lage sehen Experten auch in der geringen Bevölkerungsdichte Schwedens. Mit knapp 25 Einwohnern pro Quadratkilometer ist es das am zweitdünnsten besiedelte EU-Land.
Betrachtet man Ballungsräume, fällt Schwedens Bilanz nicht mehr so positiv aus. In Stockholm beträgt die Inzidenz aktuell um die 240 Neuinfektionen, vor zwei Wochen waren es noch 216.
Die Axelssons ziehen insgesamt eine gemischte Bilanz ihrer Zeit in der Pandemie.
Aber sie hielten immer noch Abstand. Das liege vielleicht auch daran, "dass es mich persönlich verletzt hat, dass in der ersten Welle, als es am schlimmsten war, wir sehr viele schwer Erkrankte versorgen mussten. Das war ein harter Kontrast und ich fand es sehr traurig, dass viele gestorben sind und wieder andere in den Restaurants waren. Wir bleiben nach wie vor lieber zu Hause", so Axelsson.
Die Pandemie ist ein Marathon und kein Sprint. Das hat Anders Tegnell immer gesagt. Und nicht wenige fürchten, dass die gute Lage nur eine Momentaufnahme ist. Mit Verzögerung kamen die Wellen auch immer in Schweden an.
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