Längerer Shutdown? Nächsten Dienstag wird das entschieden. Fragt sich, auf welcher Grundlage - denn die Zahlen sind zurzeit unvollständig. Und schuld daran ist irgendwie: niemand.
Das Robert Koch-Institut meldet 12.892 Corona-Neuinfektionen innerhalb von einem Tag. Auch wegen der Feiertage ist die Aussagekraft der Infektionszahlen derzeit jedoch begrenzt.
Eigentlich ein Grund zum Aufatmen: 20 Landkreise unter 100 Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen meldet das Robert-Koch-Institut am Dienstag. Der 7-Tage-Inzidenzwert bundesweit auf unter 150. Der Main-Kinzig-Kreis, eigentlich ein Hotspot in Hessen, meldet am Montag: 0 Neuinfektionen, 0 Todesfälle. Der strenge Shutdown wirkt? Vielleicht, vielleicht aber auch eher nicht.
Denn die Kennzahlen zur Covid-Pandemie, die derzeit vorliegen, sind höchst unvollständig. Die Firma Risklayer, die mehrere Quellen auswertet, schätzt, dass zu Wochenanfang etwa 40.000 Neuinfektionen nicht gemeldet wurden. Gut 1.000 Todesfälle könnten fehlen. Gründe dafür gibt es viele. Die Weihnachts-Silvester-Pause trotz Pandemie ist nur eine.
Labore, Praxen, Ämter: Keiner ist es allein
Da ist zum Beispiel die junge Frau aus dem Landkreis Oder-Spree in Brandenburg, die noch vor Weihnachten Kontakt zu einer Covid-Infizierten hatte und jetzt Symptome. Getestet ist sie bis heute nicht, vom Gesundheitsamt hat sich niemand gemeldet. Die Vertretung der Hausärztin ließ zumindest die Krankschreibung durch die Praxistür reichen. Test? Noch keine Entscheidung.
Manche Gesundheitsämter hatten über die Feiertage Notbesetzungen, manche sind sonntags gar nicht besetzt. Beispiel Main-Kinzing-Kreis: Vor Weihnachten lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 300, jetzt plötzlich unter 200.
"Das ist aus unserer Sicht nicht notwendig", sagt Kreis-Sprecher Frank Walzer. Es sei die Erfahrung aus der ersten Pandemie-Welle, dass dann so wenige Testergebnisse gemeldet würden, dass der Dienst kaum Sinn mache. Am Personalmangel liegt es aber nicht: Vor Corona hatte die Hygiene-Abteilung 17 Mitarbeiter, jetzt sind es rund 200 plus Unterstützung durch die Bundeswehr und Besetzung des Bürgertelefons.
Die Labore wiederum, die die Tests auswerten, melden gut 500.000 weniger Testungen in der Weihnachtswoche vom 22. bis 27. Dezember. Die 169 Labore der Vereinigung Akkreditierter Labore in der Medizin seien aber besetzt gewesen, heißt es dort. "Wir testen alles, was wir bekommen", sagt Sprecherin Cornelia Wanke. "Unsere Kapazitäten reichen aus."
RKI: Zahlen bleiben nicht aussagekräftig
Dass sich der Weihnachts-Silvester-Stau bis kommenden Dienstag auflöst, ist kaum wahrscheinlich. Dann wollen Bundesregierung und Länder über die Verlängerung des Shutdown über den 10. Januar hinaus entscheiden. RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher sagt:
Auch dann seien die Zahlen nicht besonders aussagekräftig.
Mitten in einer Pandemie keine eindeutigen Zahlen? Schuld ist offensichtlich jeder nur ein bisschen: Ärzte, die geschlossen haben, Labore, die nicht testen, Gesundheitsämter, die nicht voll besetzt sind: "Das ist systemimmanent", sagt Glasmacher.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), ist zuversichtlich: "Wenn man erlebt, dass wieder mehr Normalität möglich ist, werden sich viele impfen lassen".
Müller: Entscheiden "anhand der Zahlen"
Stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage Länder und Kanzlerin kommende Woche über den Shutdown entscheiden. "Der gegenwärtigen Aussagekraft der Daten zur Infektionslage in Deutschland ist sich die Bundesregierung bewusst", sagt ein Regierungssprecher. Die Bundesregierung beziehe "auf vielfältige Weise" den Sachverstand aus Forschung, Untersuchungen und Institutionen ein. Auch "die Expertise des Robert-Koch-Instituts ausdrücklich". Das gelte auch für die Vorbereitung auf den 5. Januar.
Trotzdem steht das Ergebnis offenbar schon fest. "Ich gehe fest davon aus, dass wir weiterhin mit Einschränkungen leben müssen", sagt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD). "Anhand der Zahlen" werde man bewerten, ob sie weiter so streng bleiben müssen:
Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) schränkte zumindest ein: Man werde am 5. Januar "das Ganze noch nicht genau beurteilen können", sagt er zu RTL. Deswegen werde man den Lockdown fortsetzen müssen.
Vielleicht mit Blick auf die Intensivstationen? Dort, sagt Uwe Janssens, Vorsitzender der Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, ist die Lage "sehr angespannt". Aachen, Köln, andere Regionen hätten zwar noch freie Intensivbetten. Aber oft unter zehn Prozent. In Sachsen melden mehrere Krankenhäuser: Ende.
"Die Lage auf den Intensivstationen ist angespannt", so der Intensivmediziner Prof. Uwe Janssens von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin.