Politisch umstritten, rechtlich eindeutig: Der Staat könnte die von Biontech, Moderna und Astrazeneca entwickelten Impfstoffe auch von anderen Herstellern produzieren lassen.
Wie soll die Bundesrepublik Deutschland dem Mangel an Impfstoff begegnen? Aus der Politik kam in den letzten Tagen immer wieder der Vorschlag, die von Biontech, Moderna und Astrazeneca entwickelten Impfstoffe auch von anderen Herstellern produzieren zu lassen.
Sollen Andere Impfstoff von Biontech & Co. herstellen?
Das ist rechtlich problematisch, da solche pharmazeutischen Produkte von Patenten geschützt werden. Erforschung und Entwicklung von Impfstoffen sind sehr aufwendig, teuer und mit großen wirtschaftlichen Risiken verbunden.
Patente sollen einen wirtschaftlichen Anreiz zur Entwicklung bieten, indem sie dem Pharmaunternehmen die spätere wirtschaftliche Nutzung garantieren. So kann das Unternehmen seine millionenschweren Investitionen kompensieren und zusätzlich Gewinne erwirtschaften. [Blockieren Patente den Kampf gegen Corona? Ein Hintergrund.]
Deshalb widerspricht der Vorschlag aus der Politik den Grundsätzen des Patentrechts. Rein rechtlich wäre es wegen der besonderen Corona-Lage aber tatsächlich möglich, dass ein Impfstoff auch von anderen Herstellern produziert wird. [Bund und Länder beraten beim Impfgipfel über Verbesserungen bei der Impfstrategie. Die Pressekonferenz mit den Ergebnissen hier verfolgen.]
Grundlage ist das Infektionsschutzgesetz
Grundlage dafür ist das Ende 2020 geänderte Infektionsschutzgesetz. Darin heißt es: Das Bundesgesundheitsministerium wird im Rahmen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite ermächtigt, nach § 13 Absatz 1 des Patentgesetzes anzuordnen, dass eine Erfindung (…) im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt (…) benutzt werden soll.
Im Klartext heißt das:
Während der Corona-Pandemie kann das Bundesgesundheitsministerium anordnen, dass Medikamente und Impfstoffe auch gegen den Willen des Patentinhabers hergestellt werden.
Der Staat würde dann sozusagen anstelle des Patentinhabers für einen begrenzten Zeitraum Lizenzen an andere Pharmaunternehmen erteilen.
Dafür müsste der Staat dann aber auch angemessen bezahlen: Die übliche Lizenzspanne, in der die überwiegende Mehrzahl der pharmazeutischen Produkte bezahlt wird, liege bei fünf bis 15 Prozent des Umsatzes, sagt der Münchner Patentanwalt Wolfgang Weiß.
Impfstoff-Herstellung notfalls über eine Zwangslizenz
Ein anderer Weg, wie der Staat die Impfstoff-Herstellung juristisch in die Hand nehmen könnte, ist die so genannte Zwangslizenz. Diese kann von einem Patentgericht erteilt werden, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt. Außerdem müssen vorher Verhandlungen über die Lizenzierung stattgefunden haben, die zu keinem Ergebnis geführt haben. Erst dann darf das zuständige Bundespatentgericht überhaupt entscheiden.
Dieser Weg ist wesentlich aufwendiger und langwieriger als die Anordnung des Bundesgesundheitsministeriums. 2016 hatte das Bundespatentgericht erstmals eine solche Zwangslizenz angeordnet; damals ging es um die Produktion eines HIV-Medikaments.
Jens Spahn: Das Vertrauen in den Impfstoff ist wichtig
Abgesehen von den juristische Fragestellungen müsste sich die Politik auch erst einmal entscheiden, ob die derzeitige Lage es wirklich erfordert, die Patente der Impfstoffentwickler zu übergehen. Bundesgesundheitsminister Spahn hält bislang wenig davon. Im vergangenen Dezember hatte er gesagt:
Christian Deker ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.
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