Die Ständige Impfkommission empfiehlt Corona-Impfungen für jüngere Kinder nur eingeschränkt. Stiko-Chef Thomas Mertens verteidigt im ZDF die heutige Entscheidung.
Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Prof. Thomas Mertens, begründet die eingeschränkte Empfehlung zum Impfen für 5- bis 11- Jährige damit, dass "die gesamte Datenlage, die wir analysiert haben", keine "eindeutige Empfehlung" hergebe.
Die Unsicherheit bei den Eltern wächst: Soll ich mein Kind gegen Corona impfen lassen oder nicht? Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Corona-Impfung erst einmal nicht generell für alle Fünf- bis Elfjährigen - sie galt schon vorher für alle ab zwölf. Sie rät diese nur für Kinder dieses Alters mit Vorerkrankungen und Kontakt zu Risikopatienten. Aber auch bei gesunden Kindern sollen Impfungen auf Wunsch ermöglicht werden. Die Entscheidung bleibt also im Prinzip den Eltern überlassen.
Die Begründung der Stiko: Kinder ohne Vorerkrankungen hätten derzeit ein geringes Risiko für schweres Covid-19. Hinzu komme, dass das Risiko seltener Nebenwirkungen der Impfung auf Grund der eingeschränkten Datenlage für diese Altersgruppe derzeit nicht eingeschätzt werden könne.
Stiko-Chef Thomas Mertens stellte sich im heute journal den Fragen von Marietta Slomka. Lesen Sie es hier in gekürzter Fassung oder sehen es oben in voller Länge im Video.
ZDF: Nach Ihrer Empfehlung, in Anführungsstrichen, sind Eltern heute so schlau als wie zuvor. Warum nicht eindeutiger in die eine oder andere Richtung?
Thomas Mertens: Weil die gesamte Datenlage, die wir analysiert haben, einschließlich der Daten aus der jetzt laufenden so genannten vierten Welle in Deutschland das nicht hergeben, eine eindeutige Empfehlung für die Impfung. Und auf der anderen Seite wollten wir ja den Eltern, die unbedingt die Impfung wünschen, aus was immer für Gründen, dies nicht verwehren. Insofern glaube ich, dass es in der Summe eine ganz vernünftige Empfehlung ist.
ZDF: Warum fehlen Ihnen die Daten? Also die Ema hat ja zugelassen, es gab Studien, und in den USA gab es schon seit Ende Oktober die Zulassung, sind inzwischen über fünf Millionen Kinder geimpft. Über eine Million, wenn ich es richtig im Kopf habe, haben schon die Zweitimpfung. Das sind ja eigentlich ganz schön viele Daten, die Sie haben. Haben Sie da Daten über Schäden, über schwere Komplikationen, die Sie zögern lassen?
Mertens: Also zunächst mal, die Ema hat zugelassen auf Grund von Unterlagen der Zulassungsstudie. Und wir wissen ja alle mittlerweile hinlänglich, dass diese ungefähr 1.500, die da in der Zulassungsstudie geimpft worden sind, keinen Ausschluss von auch nur seltenen, geschweige denn sehr seltenen Nebenwirkungen möglich machen. Und das ist eigentlich unbestreitbar und durch jeden nachrechenbar. Was die Impfungen in den Vereinigten Staaten angeht, so ist es richtig, da sind Impfungen durchgeführt worden, und das sind allerdings nicht sehr viele Zweitimpfungen durchgeführt worden...
ZDF: ...Aber eine Million Zweitimpfungen, stimmt das nicht? Das wäre ja eine ganze Menge. Also das melden jedenfalls die amerikanischen Behörden und darauf berufen sich auch amerikanische und deutsche Virologen.
Mertens: Also wir sprachen sehr kürzlich mit einem Vertreter des ECDC, da lautete die Zahl noch etwas anders, aber gut, das schreitet ja auch fort mit den Impfungen. Aber wir wollen und nicht daran festhalten, ich will mich nicht daran festhalten. Der Punkt ist, dass die Aussage, dass so und so viele Kinder geimpft worden sind, sind eigentlich nicht hilfreich. Wir brauchen die Auswertung von Daten und Studien, die sich aus dieser Impfaktion ergeben, und die liegen in der Tat nicht vor dieser Zeit. Und das ist auch nicht zu erwarten, weil es in den Vereinigten Staaten genauso wie bei uns ein so genanntes Spontan-Meldeverfahren gibt, das heißt, da können vermutete oder tatsächliche Nebenwirkungen spontan gemeldet werden, genau wie bei uns an das Paul-Ehrlich-Institut. Und wir wissen ganz genau seit vielen Jahren, dass es da eine erhebliche Verzögerung bei dem Meldeverfahren gibt. Im Augenblick...
ZDF: ... Aber was wir ja wissen, dass Covid auch bei Kindern Schäden hervorrufen kann. Und dass im Moment dieses Virus regelrecht durchseucht. Finde Sie das richtig? Sind Sie für eine so genannte natürliche Immunität, dass die Kinder nach Möglichkeit alle dieses Virus bekommen? Das wird ja mehr oder weniger passieren: Entweder Impfung oder Infektion.
Mertens: Ja, das wird so passieren. Aber nichtsdestotrotz ändert das im Augenblick an der aktuellen Situation für uns nichts. Und wie Sie ja richtig gesagt haben, haben wir die Impfung auch für die Menschen, die die Impfung wünschen für ihre Kinder, und gegebenenfalls, wenn es Elfjährige selbst wünschen, auch ermöglicht. Aber es ist doch ein erheblicher Unterschied, ob man sozusagen die Impfung ermöglicht oder ob man die Impfung ausdrücklich empfiehlt. Und für diese ausdrückliche Empfehlung, die sie gerne hätten, da ist die Datenlage im Augenblick noch zu schwach.
ZDF: Aber dadurch, dass Sie natürlich gesagt haben, ich würde mein Kind nicht impfen lassen, haben Sie eine ausdrückliche Empfehlung gegeben, ohne Datenlage. Im Prinzip haben Sie gesagt, ich nicht, und darauf hören eine Menge Ärzte und Eltern. Und Sie nehmen einen enormen Einfluss als Stiko-Chef, obwohl Sie gleichzeitig sagen, uns fehlen die Daten und wir haben noch keine Impfschäden vorliegen, aber die könnten ja noch irgendwann kommen. Aber es könnten ja auch irgendwann Schäden für Covid kommen.
Mertens: Also zunächst möchte ich doch mal sagen, dass diese völlig aus dem Zusammenhang gerissene Aussage, diese Aussage, die so nie getroffen worden ist...
ZDF: ...Im FAZ-Podcast?
Mertens: ...Ja, im FAZ-Podcast. Genau, das war ein sehr langes Interview insgesamt. Und in diesem Interview hab ich versucht, die Entscheidungsgrundlage der Stiko zu verdeutlichen. Und ich habe am Ende auf die direkte Frage der Journalistin gesagt, die sozusagen angehängt war, ich würde jetzt, im Augenblick, mein Kind nicht impfen lassen. Und dass im Zusammenhang mit der geklärten Tatsache, dass es keinen für Kinder konfektionierten Impfstoff gab und der Tatsache, dass es auch noch keine endgültige Empfehlung der Impfung durch die Stiko gab.
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