Fast vier Semester Hochschul-Lockdown haben Spuren hinterlassen. Studierende sind ausgezehrt, leiden unter Einsamkeit. Ein Psychologe erklärt, welche Strategien helfen können.
Schon jetzt sind die psychologischen Beratungsangebote überlastet. Und der Bedarf könnte weiter steigen, befürchten Expert*innen. Der Hamburger Psychologe Ronald Hoffmann erklärt im ZDFheute-Interview, was gegen Einsamkeit und Selbstzweifel helfen kann:
Den Tag strukturieren - konsequent
Viele Dozent*innen nehmen Podcasts auf oder laden ihre Vorlesungen im Internet hoch - abrufbar, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Das sei gefährlich verlockend, warnt Hoffmann.
Er plädiert eindringlich, sich einen Stundenplan zu erstellen - und bestimmte Zeitfenster konsequent zu blocken. Eine "feste Tagesstruktur" sei der effektivste Weg, um sich in der asynchronen Digitallehre nicht zu verzetteln. Wer aus Lustlosigkeit über Wochen hinweg Vorlesungen nicht besucht, gerate schnell in eine Abwärtsspirale. "Das ist ein klares Alarmsignal", betont der Psychologe.
Viele kurze Pausen einlegen
Klingt banal und wird doch häufig vergessen. "Die Aufmerksamkeitspanne liegt, wohlgemerkt bei fitten Studenten, bei einer Stunde", erklärt Hoffmann. Wer ohne Ruhepause Vorlesung für Vorlesung abspult und durch den digitalen Unialltag hetzt, büßt an Leistungsfähigkeit ein.
Sein Tipp: Der Tagesplan sollte viele kurze Pausen enthalten und dem eigenen Schlaf- und Leistungsrhythmus entsprechen.
Belohnungen gegen die digitale Tristesse
Bloß für das richtige Fach entscheiden und auf keinen Fall länger als Regelzeit studieren - höher, schneller, besser. Diesen "inneren Erwartungsdruck", den viele Studierende verspüren, könne man durch gezielte Belohnungen regulieren.
Die Meditation am Abend, der Serienmarathon oder die richtigen Beats auf den Ohren: Wenn es um den persönlichen Ausgleich geht, gibt es kein allgemeingültiges Rezept. Doch was sicherlich dazu gehört: Nicht nur an die nächste Klausur denken, sondern sich hin und wieder auch vergangene Erfolge vor Augen führen.
Viele Menschen haben oft damit zu kämpfen, dass sie Aufgaben vor sich herschieben. Die Pandemie hat das sogenannte Prokrastinieren weiter verstärkt.
Geheimtipp Lerngruppe
Vernetzung sei entscheidend, um der Anonymität der Onlinelehre etwas entgegenzusetzen, sagt Hoffmann. Kommunikation funktioniere auch im Digitalen. Klar, es koste Überwindung, während der Vorlesung in den Chat zu schreiben. Doch häufig genüge eine kurze Nachricht, um beispielsweise eine Lerngruppe zu finden.
Im kleinen Kreis können Inhalte und Fragen diskutiert werden, aber auch - nach einiger Zeit - Sorgen und Unsicherheiten ausgetauscht werden. Die Lerngruppe kann ein entscheidendes Puzzleteil sein, um die Herausforderungen des Online-Studiums zu bewältigen.
Fokussieren auf Positives, Reflexion am Ende des Tages und das "Annehmen der Situation" wären gut für die Psyche in der Pandemie, so Prof. Michèle Wessa, Psychologin und Resilienzforscherin an der Universität Mainz.
Chronische Einsamkeit nicht ignorieren
Jeder kann eigene Resilienzstrategien entwickeln. Dennoch sollten Studierende, die sich über einen längeren Zeitraum ohnmächtig, einsam und antriebslos fühlen, die sich mit Selbstzweifeln plagen und über Studienabbruch nachdenken, an eine Beratungsstelle wenden - insbesondere in Notfällen.
Eine psychologische Begleitung unterstützt dabei, das eigene Gedankenkarussell zu ordnen.
- "Da ist eine tiefe Verzweiflung spürbar"
An vielen Hochschulen sind die psychologischen Beratungen 2021 massiv überlastet, die Wartelisten lang. Es muss priorisiert werden, auf der Strecke bleiben viele Studierende.