20 Prozent der Corona-Toten in Sachsen-Anhalt sind nicht "an", sondern "mit Corona" gestorben. Die Zahl ist kein Skandal, verrät aber viel über die Komplexität der Statistik.
Werden zu viele Menschen als Corona-Tote gezählt? Diese Frage zieht sich seit zwei Jahren durch die Pandemie-Berichterstattung. Einerseits sind diese Statistiken für die Glaubwürdigkeit der Regierungen zentral und spielen in der Begründung der Pandemie-Maßnahmen eine wichtige Rolle.
Gleichzeitig relativiert sich das Skandal-Potenzial vieler aufgeregt diskutierter Zahlen, sobald man sich ansieht, wie sie erfasst werden und was sie tatsächlich aussagen.
Teilte Sachsen-Anhalt "Bild" falsche Zahlen mit?
Am Dienstag titelte die "Bild-Zeitung" mit "bis zu 29 Prozent der Corona-Toten starben nicht an Corona". Damit bezog sich das Blatt auf eine angebliche Statistik des Landes Sachsen-Anhalt. Bei diesem Anteil der Corona-Toten sei laut sachsen-anhaltischem Gesundheitsministerium eine "unbekannte" oder "andere Todesursache" als Covid-19 vermeldet worden.
Doch diese Zahlen stellten sich als falsch heraus, "Bild" korrigierte die Meldung am Mittwoch.
Tatsächlich seien seit 1. Dezember 2021 in Sachsen-Anhalt 590 Corona-Todesfälle verzeichnet worden, davon 446 an und 117 mit Corona. Das entspricht einer Quote von rund 20 Prozent. In den verbleibenden 27 Fällen sei keine Todesursache bekannt, teilt das Landesministerium ZDFheute mit.
Wie entstehen die Covid-Todeszahlen?
Ob eine Person an oder mit Corona verstorben ist, entscheidet das lokale Gesundheitsamt auf Grundlage verschiedener medizinischer Faktoren. Die Statistikämter oder das Robert-Koch-Institut (RKI) bekommen diese Zahlen auf Basis des Infektionsschutzgesetzes lediglich weitergeleitet.
Insbesondere wenn Menschen bereits an zahlreichen Vorerkrankungen litten, kann das eine klare Einordnung erschweren. Covid-19 kann auf vielfältige Weise eine Rolle beim Tod gespielt haben: Es gibt komplexe Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Krankheitsbildern und das Coronavirus greift diverse Organe an, was zu massiven Langzeitschäden führen kann.
Diese Herausforderungen können dazu beitragen, dass die Toten teils erst mit einem erheblichen Meldeverzug in der offiziellen RKI-Statistik landen.
Warum haben manche Bundesländer mehr "mit Corona Verstorbene" als andere?
Viele Bundesländer unterscheiden bei den "mit Corona Verstorbenen" nochmal zwei verschiedene Gruppen: die mit einer "anderen Todesursache" und jene mit einer "unbekannten Todesursache".
In Baden-Württemberg und dem Saarland gaben die Gesundheitsministerien an, dass 90 Prozent der Fälle an Corona verstorben seien. In Hessen waren es lediglich 74 Prozent. Dort liegt der Anteil der Corona-Toten mit "unbekannter Todesursache" bei hohen 18 Prozent.
Kann es sein, dass etwa hessische Gesundheitsämter bei komplizierten Fällen häufiger "unbekannte Todesursache" eintragen? Das hessische Gesundheitsministerium konnte das nicht endgültig aufklären, nennt aber diesen Erkläransatz:
Sofern eine natürliche Todesursache vorliege, müssen Hausärzte im Totenschein keinen Grund angeben. Das kann dazu führen, dass diese Toten mit "unbekannter Todesursache" in der Statistik landen - obwohl auch diese Menschen "an Corona" gestorben sein könnten.
Doch auch andere Faktoren können Unterschiede zwischen den Ländern erklären - etwa unterschiedliche Altersstrukturen stark betroffener Gebiete. Wie stark sich diese verschiedenen Faktoren auswirken, kann oft nicht sicher gesagt werden. "Sachsen-Anhalt verfährt in dieser Angelegenheit wie andere Bundesländer auch", heißt es aus Magdeburg.
Sind bis zu 20 Prozent "mit Corona Verstorbene" eine Neuigkeit?
Dass ein Fünftel aller Corona-Toten in Sachsen-Anhalt lediglich mit dem Virus verstorben sein könnten, ist eigentlich keine Überraschung und deckt sich in der Tendenz mit dem, was die Todesstatistiken seit Beginn der Pandemie sagen.
Das RKI schreibt auf seiner Webseite, dass bei einem "Großteil der an das RKI übermittelten Covid-19-Todesfälle verstorben an der gemeldeten Krankheit" angegeben werde. Exakte Daten nennt das Institut aber nicht. Antworten liefert die jährliche Auswertung des Statistischen Bundesamts zur Todesursachenstatistik. Für das Jahr 2020 war dort bei 83 Prozent der Corona-Toten Covid-19 die verantwortliche Todesursache. Auch ZDFheute berichtete darüber, als diese Zahlen erstmals veröffentlicht wurden.
Zwischen den Todesstatistiken von RKI und Statistischem Bundesamt gibt es kleinere Unterschiede. Das liegt daran, dass das RKI auf Basis des Infektionsschutzgesetzes erfasst und das Bundesamt auf Basis der Amtlichen Todesursachenstatistik.
Wie könnte man die Corona-Toten stattdessen zählen?
Es gibt zahlreiche statistische Möglichkeiten, Corona-Tote zu zählen. Andere Länder wählen andere Lösungen und die deutsche Lösung ist wie so oft auch durch die föderalen Strukturen bedingt. Teils wird etwa gefordert, Corona-Tote nur zu zählen, wenn sie innerhalb eines definierten Zeitraums nach der Infektion versterben - das ignoriert jedoch die Möglichkeit langer Behandlungsverläufe und teils tödlicher Spätfolgen.
Die Gefahr zu vieler oder zu weniger Meldungen bestünde also auch bei anderen Zählweisen. Nachträgliche Anpassungen sorgen zudem dafür, dass die Zahlen weniger gut vergleichbar sind. Dieses Problem hat man etwa bei den Statistiken zu Intensivbetten, deren Kriterien im Laufe der Pandemie mehrfach angepasst wurden.
Dass auch "mit Corona" Verstorbene in die Statistik einfließen ist Quelle für Ungenauigkeiten, lässt sich aber gut begründen. Auch bei diesen Todesfällen kann Corona eine zentrale Rolle gespielt haben. Ein Skandal sind Zahlen wie aus Sachsen-Anhalt nicht.
Wie Corona-Tote gezählt werden, war schon häufiger Gegenstand heftiger Diskussionen. Lesen Sie hier mehr zu den Vor- und Nachteilen der deutschen Statistik und was Kritiker gerne ändern würden: