In Triage-Situationen sind Behinderten-Rechte laut Bundesverfassungsgericht nicht ausreichend geschützt. Intensivmediziner kündigen deshalb eine Präzisierung ihrer Richtlinien an.
Menschen mit Behinderungen müssen in der Pandemie bei der sogenannten Triage geschützt werden. Der Gesetzgeber müsse deshalb unverzüglich Vorkehrungen treffen, um bei der Verteilung knapper Intensivbetten jede Benachteiligung von Behinderten wirksam zu verhindern, erklärte das Bundesverfassungsgericht in seiner am Dienstag veröffentlichten Entscheidung.
Bislang gibt es eine solche gesetzliche Regelung nicht. Ärzte und Kliniken handeln auf Basis von "klinisch-ethischen Empfehlungen", die von medizinischen Fachgesellschaften, insbesondere der Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), erarbeitet wurden. Das Verfassungsgericht erläuterte nun, die Empfehlungen der Divi seien rechtlich nicht verbindlich und "kein Synonym für den medizinischen Standard im Fachrecht".
So wollen die Intensivmediziner auf das Triage-Urteil reagieren
Trotz dieser Kritik reagiert der Intensivmediziner und frühere Divi-Präsident Uwe Janssens im Interview mit ZDFheute positiv auf die Entscheidung.
Man begrüße ausdrücklich den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, dass "der Gesetzgeber hier nicht völlig aus der Verantwortung entlassen worden ist, sondern jetzt nahezu dazu aufgefordert wird, hier zu präzisieren", betonte Janssens, der weiterhin im Divi-Präsidium sitzt.
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Der Intensivmediziner kündigt auch bereits Reaktionen auf die Entscheidung in Karlsruhe an:
Es gebe Passagen etwa zur Einschätzung der Gebrechlichkeit von Patienten, die weiter präzisiert werden müssten, so Janssens. Aus Divi-Sicht lasse es das Bundesverfassungsgericht relativ weit offen, wie die Regelungen praktisch aussehen können. "Ob das ein sogenanntes Triage-Gesetz wird, sei mal dahingestellt", sagt Janssens.
Janssens: Klarheit schaffen, damit "vermutete Diskriminierung definitiv nicht stattfindet"
"Wir sehen, dass es durchaus sein kann, dass unsere Empfehlungen im klinischen Alltag nicht ausreichend beachtet werden, interpretiert werden und umgesetzt werden", gab Janssens zu bedenken. Bemühungen für Fort- und Weiterbildungen in diesem Bereich würden darum weiter fortgesetzt. Das war vom Bundesverfassungsgericht in der Urteilsbegründung so auch gefordert worden.
Man wolle die Aus- und Fortbildung des medizinischen Personals auch deshalb stärken, um "Klarheit zu schaffen, damit die Diskriminierung, die implizit vermutet wird, wenn eine Behinderte, ein Behinderter auf die Intensivstation kommt, definitiv nicht stattfindet".
Bundesregierung will Gesetzentwurf schnell vorlegen
Bundesjustizminister Marco Buschmann hat eine rasche Reaktion der Bundesregierung zum Triage-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts angekündigt. "Das erste Ziel muss sein, dass es erst gar nicht zu einer Triage kommt. Wenn aber doch, dann bedarf es klarer Regeln, die Menschen mit Handicaps Schutz vor Diskriminierung bieten", schrieb er am Dienstag auf Twitter. Die Bundesregierung werde dazu zügig einen Gesetzentwurf vorlegen.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte das Urteil. Jetzt gehe es darum, durch wirksame Schutzmechanismen und Impfung Triage zu verhindern.