Morgen geht in England die Schule wieder los. Und schon seit Wochen tobt ein erbitterter Streit darum. Regierung beratende Wissenschaftler halten das für verfrüht.
Die Infektionszahlen sind noch zu hoch, meinen die Wissenschaftler, um die Schulöffnungen und andere Lockerungen, die Boris Johnson für den 1. Juni angekündigt hat, umzusetzen.
"Es ist ein sehr gefährlicher Moment", sagte der wissenschaftliche Regierungsberater Jonathan Van-Tam am Samstag. Auch wenn nach bisherigen Erkenntnissen Kinder weniger gefährdet sind, können sie das Virus dennoch verbreiten, es nach Hause tragen oder aber ihre Lehrer anstecken.
Der britische Premierminister Boris Johnson hat am Sonntag für England eine vorsichtige Lockerung der Kontaktbeschränkungen in der Coronavirus-Pandemie angekündigt. Es sei gelungen, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.
Millionen Kinder brauchen dringend Hilfe
Deren Gewerkschaften schlagen denn auch Alarm. Etwa drei Viertel der Schulen werden am Montag dennoch aufmachen. Besser: erweitern ihren Schülerkreis. Schon während des Lockdown gingen 244.000 Kinder weiter zur Schule (von sonst 8,8 Millionen).
Dazu gehörten sowohl die Kinder "systemrelevanter Arbeiter" als auch solche, die als gefährdet eingestuft werden, weil ihnen häusliche Gewalt droht, mangelnde Versorgung oder Betreuung. Drei Millionen britische Schüler haben ein Anrecht auf gratis Schulmahlzeiten.
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Die Nachteile, die so viele Kinder erfahren, weil ihnen mit der Schule auch ein geschützter Raum, Regelmäßigkeit und Nahrung abhanden kommt, hat in der Diskussion um die Schulschließungen von Anfang eine große Rolle gespielt.
Unterricht nur in der Schule
Deshalb wurden auch alle Prüfungen für dieses Jahr Ende März sofort abgesagt. Undenkbar dass hier, wie in Deutschland, Kinder monatelang keinen Unterricht haben, man sich also darauf verlässt, dass sie Zuhause lernen können, um sie dann zu prüfen.
Viel zu unfair sei dies gegenüber Kindern in beengten, schwierigen Wohnverhältnissen, ohne Computer oder Internetzugang. Der Druck, die Schulen wieder aufzumachen, hat hier eine viel stärkere soziale Komponente als in Deutschland.
Schulöffnung in Etappen
Der andere Aspekt aber ist natürlich der, dass die Wirtschaft nur wieder ins Rollen gebracht werden kann, wenn die Kinderbetreuung sichergestellt ist.
Der Druck auf die britische Regierung wegen ihres Umgangs mit der Pandemie wächst weiter. Immer mehr in den Fokus rückt dabei die Situation in den Pflegeheimen.
Den Anfang machen Kindergartenkinder, Vorschüler und Schüler der Klassen 1 und 6. Und die Rückkehr ins Klassenzimmer gilt nur für englische Kinder, nicht für walisische, schottische und nordirische. Die Regierungen der drei Nationen wollen ihre Schüler erst nach den Sommerferien zurückholen.
Eltern misstrauen der Regierung
Auch ist die Frage, wieviele Eltern ihre Kinder tatsächlich gehen lassen. In einer Umfrage der vergangenen Woche gaben mehr als die Hälfte aller Erziehungsberechtigten an, sie würden ihr Kind jetzt noch nicht in die Schule schicken.
Dabei spielt mangelndes Vertrauen in die Regierung durchaus eine Rolle. Premier und Gesundheitsminister haben in den vergangenen Monaten immer wieder Versprechungen gemacht - und sie nicht gehalten. Egal, ob es um Testzahlen, Schutzkleidung, eine Tracking-App oder das am Donnerstag angekündigte Tracing-Schema ging: nicht ein einziges Mal wurde das Angekündigte rechtzeitig geliefert.
Tracing soll Infektionsrisiko senken
Sir David King, ehemaliger wissenschaftlicher Berater der Regierung, warnt: "Es ist einfach zu früh. Die Schulen zu öffnen, könnte den R- Faktor um 0,3 Punkte nach oben treiben, wir haben wirklich Sorge, dass das Infektionslevel im Land noch zu hoch ist, um das jetzt schon zu riskieren." Bisher liegt der R-Wert bei 0,7 bis 0,9.
Helfen würde ein System, um existierende Fälle nachhaltig zu isolieren, doch das Tracing-Schema, das angeblich fünf Tage früher als erwartet am Donnerstag - pünktlich um vom Skandal um Boris Johnsons Berater Dominic Cummings abzulenken - fertig war, ist jetzt doch erst Ende des Monats einsatzbereit.
Premierminister Johnson gerät wegen seiner Unterstützung für seinen Chefberater Cummings zunehmend unter Druck. Cummings soll gegen die Ausgangsbeschränkungen verstoßen haben.
Schuldirektoren entscheiden über Öffnung
Wenigstens so lange wollen manche Schulen auch warten. Es steht den Direktoren frei, ob und wie sie wieder aufmachen, und so lassen manche zwar die kleinen Kinder zurückkommen, nicht aber die Sechstklässler.
Mitte Juni sollen auch Zehnt- und Zwölfklässler, die 2021 wichtige Prüfungen vor sich haben, wieder wahrhaftige Lehrer vor sich haben. Wenn es bis dahin nicht wieder einen Anstieg der Fallzahlen gibt und alles zurückgedreht werden muss. Auf abrupte Schließungen, so die Schulrektoren, sollen sich alle Eltern einstellen.
Diana Zimmermann ist Korrespondentin im ZDF-Studio London.
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