Iran beklagt die meisten Corona-Toten nach China. Wie hoch die Zahl der Toten und der Infizierten tatsächlich ist, weiß niemand genau. Denn das Regime spielt die Lage herunter.
Dem Corona-Beauftragten der Regierung stand der Schweiß sprichwörtlich auf der Stirn. Vize-Gesundheitsminister Iradsch Harirtschi stand auf einer Pressekonferenz am vergangenen Montag neben Regierungssprecher Rabei und versuchte, die Brisanz der Corona-Krise im Iran herunterzuspielen. Es sei "alles unter Kontrolle".
Zwei Tage später meldet er sich per Videobotschaft und muss zugeben, dass er selbst am Coronavirus erkrankt sei und unter Quarantäne stehe. Es sei "ein demokratisches Virus, das nicht zwischen arm und reich unterscheide", so Harirtschi. Der Staat werde "den Kampf gegen das Virus gewinnen", sagt er. Dieses Beispiel zeigt die Hilflosigkeit des iranischen Regimes angesichts der Krise.
Iran: Meiste Corona-Tote nach China
Der Sprecher des Gesundheitsministeriums, Kianusch Dschahanpur, präsentiert täglich die neuesten Zahlen. Inzwischen hat sich die Zahl der Corona-Toten auf 54 erhöht - Tendenz steigend. 978 Menschen seien positiv getestet worden. Der Iran ist inzwischen das Land mit den meisten Corona-Toten außerhalb Chinas.
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Der Anteil der Todesopfer an den Infektionen liegt im Iran mit mehr als sieben Prozent deutlich höher als anderswo. Viel zu lange und immer noch schweigt das Regime in Teheran über das wahre Ausmaß der Krise, glauben Kritiker. Selbst eigene Abgeordnete wie Ahmad Farahani widersprechen den offiziellen Zahlen der Regierung. Farahani spricht allein von 50 Toten im Bezirk Qom. Qom ist eine Heilige Stadt und mit dem Schrein der Fatima Masumeh wichtiges Pilgerziel für Schiiten. Es gilt als Epizentrum des Coronavirus im Gottesstaat.
Kanadische Wissenschaftler: Mehr als 18.000 Infektionen im Iran?
Experten der Weltgesundheitsorganisation befürchten, dass der Iran nicht alle Infektionen gemeldet hat und bemängeln, dass in dem Land bislang so gut wie kein Überblick über die tatsächliche Verbreitung des Virus besteht. Kanadische Wissenschaftler haben unterdessen in einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Studie ausgerechnet, dass es mehr als 18.000 Infektionen im Iran geben könnte.
Bijan, ein Allgemeinmediziner, berichtet, dass er inzwischen Tag- und Nachtschichten in einem Teheraner Krankenhaus fahren muss. Seinen ganzen Namen will er nicht nennen. Denn er erzählt, dass Ärzte beim Betreten und Verlassen des Krankenhauses von den Revolutionsgarden ermahnt würden, über ihre Arbeit und die Zahl der Erkrankten zu schweigen:
Andere Ärzte, die anonym bleiben wollen, berichten in sozialen Netzwerken, dass sie dazu gedrängt werden, andere Todesursachen als das Coronavirus anzugeben.
Schreine ablecken in Zeiten von Corona
Von offizieller Seite gab es zunächst Beschwichtigungen. Präsident Ruhani sprach von einer feindlichen Verschwörung, die das Land zum Stillstand bringen wolle. Doch inzwischen ist sogar seine Vizepräsidentin Massumeh Ebtekar infiziert.
Das Regime hat inzwischen reagiert und das Freitagsgebet in mehreren Teilen des Landes abgesagt. Schulen und Universitäten sind landesweit geschlossen – auch Kinos, Theater und Konzertsäle. Fans dürfen Fußballspiele der ersten und zweiten Liga entweder gar nicht oder nur am TV verfolgen. Inzwischen sollen sogar die Revolutionsgarden zur Bekämpfung des Virus eingesetzt werden.
Doch das Regime weigert sich bisher, Ansteckungshorte wie Pilgerstätten zu schließen. Im Gegenteil – über soziale Netzwerke sieht man Regimeanhänger wie auch Kinder, wie sie medienwirksam religiöse Schreine berühren und sogar ablecken.
Nachbarstaaten isolieren Iran
Kritiker werfen der Regierung vor, nach der Entdeckung des ersten offiziellen Corona-Falles am 19. Februar zu lange geschwiegen zu haben. Zwei Tage später sollten Millionen Iraner bei den Parlamentswahlen ihre Stimme abgeben. Wollte das Regime so eine noch niedrigere Wahlbeteiligung vermeiden?
Inzwischen sollen Patienten den Erreger aus dem Iran in mehrere Nahost-Staaten verbreitet haben. Alle Nachbarn der Islamischen Republik haben inzwischen ihre Grenzen geschlossen. Auch sie trauen Teherans Beteuerungen nicht. Der Schaden ist enorm – nicht nur gesundheitlich, sondern auch politisch. Die Menschen sind verunsichert, wütend. Überall ist der Mundschutz ausverkauft, Tausende Exemplare wurden vor Beginn der Krise in Iran nach China verschickt.
Die Menschen glauben, dass die Regierung ihnen - wie so oft in der Vergangenheit - nicht die Wahrheit sagt. Wie zuletzt nach den Novemberunruhen und nach dem Abschuss der ukrainischen Maschine im Januar. Es ist die dritte ernste Krise des Regimes hintereinander. Das Coronavirus könnte die Glaubwürdigkeit des Regimes empfindlich schwächen.