Viele US-Bundesstaaten lockern ihre Corona-Beschränkungen, obwohl das Virus nicht unter Kontrolle ist. Das Land ist gespalten in Befürworter und Gegner, Erleichterte und Besorgte.
"Verteilt nicht Covid-19, verteilt euch" - steht auf einem großen Schild in der Altstadt von Alexandria, Virginia. Es ist Sonntag, T-Shirt-Wetter und die ersten Geschäfte haben wieder geöffnet, da ist das mit dem Verteilen nicht so einfach, viele hält es nicht mehr zuhause.
Es fühlt sich zum ersten Mal seit Wochen wieder ein bisschen nach Normalität an, sagt Jacky, die mit ihrem Mann Mike und ihrem Baby Evangeline heute erstmals wirklich draußen ist.
Sehen Sie hier das Video zum Beitrag:
Die USA öffnen langsam ihren Lockdown, doch vielen geht es nicht schnell genug.
In Alexandria sieht es fast aus wie vor Corona
Auf der Wiese am Potomac-Fluss wird gepicknickt, die Bürgersteige sind voller Menschen, die in langen Schlangen auf Cocktails und Eis warten. Viele versuchen zwar, mehr Abstand zu halten, und doch sieht es fast wieder so aus wie vor Corona. Wären da nicht vereinzelt Menschen mit Maske und die Einlassregeln in den Geschäften.
Rund zwei Meter Abstand soll man halten, nur eine bestimmte Anzahl Menschen sind gleichzeitig in einem Laden erlaubt, aber so ganz genau weiß das hier keiner. Ändern sich doch fast wöchentlich die Ansagen der örtlichen Regierung.
"Wir haben keine ganz genauen Richtlinien, so versucht jeder, mit der Situation so umzugehen, wie er es für richtig hält", sagt Katya Ananieva. Sie hat einen kleinen Schmuckladen und fürchtet wie so viele um ihre Existenz.
Verkäuferin Mai nebenan im Souvenirgeschäft weiß nicht, ob sie sich über die vielen Menschen freuen soll. Sie ist besorgt, dass sie sich nicht entsprechend verhalten und sie doch wieder schließen muss. Einige seien vorsichtig und passten auf. Andere hingegen glauben, das Virus sei schon nicht so schlimm, erzählt sie.
Demonstrationen in Richmond
Die Wahrheit ist: Noch immer sind die USA das Land mit den meisten Corona-Infizierten. Doch Präsident Donald Trump und seine Anhänger fordern seit Wochen die Wiedereröffnung der Wirtschaft.
Regelmäßig gehen Demonstranten mit der Rückendeckung ihres Präsidenten gegen die Beschränkungen auf die Straße.
So auch in Richmond. Jeden Mittwoch gibt es hier einen Autoprotest. Mit lautem Gehupe schreien sie hier wütende Parolen aus dem Fenster. "Gebt mir meine Freiheit oder gebt mir Covid-19", brüllt eine Frau mit Trump-Maske.
Sie verteidigt ihren Präsidenten und schimpft auf den demokratischen Gouverneur Northam in Virginia, der vor einigen Wochen die Kontakt-Beschränkungen erlassen hatte. Sie ist überzeugt, die Demokraten versuchten, die Bürger zu kontrollieren und die Medien würden sie manipulieren. Die Demonstranten sehen ihre persönliche Freiheit gefährdet, das sagen alle hier.
"Angst ist das wirkliche Virus"
Die 18-jährige Elisabeth ist mit ihrer Mutter und ihren Freundinnen zum Protest gekommen. Sie sind der Meinung, das Virus sei keine wirklich große Gefahr und die Maßnahmen der einzelnen Staaten ein Angriff auf die Politik Trumps.
"Angst ist das wirkliche Virus", steht auf ihrem Plakat. Ihre Mutter Leila stimmt zu. "Die Medien sagen, wenn wir wieder aufmachen, werden Menschen sterben. Ja, das werden sie, es sterben die ganze Zeit Menschen."
Amerikas Rechte macht mobil - gegen die vermeintlichen Einschränkungen ihrer Freiheit durch den Corona-Lockdown. Einen Unterstützer finden sie im Weißen Haus: Donald Trump ruft per Twitter zur Befreiung der demokratisch regierten Bundesstaaten auf.
Sie geben mehr oder weniger das wieder, was ihr Präsident täglich twittert. Alles sei ein persönlicher Angriff gegen ihn oder eine politische Kampagne der Demokraten.
Die USA sind ein gespaltenes Land
Trump nutzt die Wut und Sorge der Menschen über ihre wirtschaftliche Zukunft, sie stützen ihn in seiner Haltung. Er wirft den Demokraten vor, in den von ihnen regierten Bundesstaaten die Bewegungseinschränkungen zu langsam aufzuheben. Denn eine schwache Wirtschaft schwächt sein Ansehen im diesjährigen Wahlkampf.
Das Virus spaltet das Land: In Befürworter und Gegner der Maßnahmen, in Erleichterte und Besorgte und am Ende wird auch die politische Spaltung in den USA immer größer.
Sehen Sie hier einen Beitrag zum Corona-Krisenmanagement in den USA:
"Leuchtende Stadt auf dem Hügel" – so hatte der ehem. US-Präsident Reagan die USA einst genannt. Über Jahrhunderte benutzten Amerikas Politiker das Bild, um die Ausnahmestellung der Nation als Vorbild in der Welt zu feiern. Doch wo stehen die USA heute?
"Wenn so viele Leute jetzt nah beieinander sind und die Zahlen noch immer steigen, das ist beunruhigend", sagt Keaton, der sich mit seiner Familie lieber abseits der Menschen in Alexandria aufhält.
Seine Frau Lehai stimmt ihm zu. Das Land solle langsam und behutsam wieder öffnen. Man könne nicht einfach zur Normalität übergehen. Was wohl alle eint, ist der Wunsch und die Hoffnung, dass diese Normalität irgendwann zurückkehrt.
Der Autorin auf Twitter folgen @Alica_Jung