Lanz-Talk: Boris Palmer warnt vor industriellen Kernschmelze
Lanz-Talk im ZDF:Boris Palmer warnt vor Deindustrialisierung
von Felix Rappsilber
07.09.2022 | 07:34
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Boris Palmer bemängelt bei "Lanz" eine "Leerstelle in der Politik". Sie müsse "Unternehmen unter die Arme greifen", um eine "Deindustrialisierung" zu verhindern.
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"Wir stehen wirklich am Abgrund einer Deindustrialisierung", warnte Boris Palmer (Grüne), Tübingens Oberbürgermeister, am Dienstagabend bei Markus Lanz. Zwar halte er die "Umverteilung, die derzeit gemacht wird" für "richtig". Denn:
Wenn die Ärmsten der Armen kein Brot, keine Heizung und keinen Strom kaufen können, bricht diese Gesellschaft zusammen.
Boris Palmer, Tübingens Oberbürgermeister
Es folgte das Aber:
Sie bricht genauso zusammen, wenn die Quellen des Wohlstands versiegen, wenn die industrielle Basis kaputtgeht.
Boris Palmer, Tübingens Oberbürgermeister
Wegen steigender Gaspreise sorgt sich Palmer um die deutsche Wirtschaft. Er sieht die Gefahr, dass ganze Industriezweige verschwinden könnten. 07.09.2022 | 2:11 min
Boris Palmer: Unternehmen brauchen Hilfe
Es herrsche eine Leerstelle in der Politik – darin, "Unternehmen unter die Arme zu greifen". So habe der Inhaber eines ortsansässigen Textilunternehmens dem Tübinger Oberbürgermeister berichtet, dass sein Unternehmen "nicht überleben" werde, "wenn jetzt noch die Gasumlage kommt, die Verträge auslaufen und das Vierfache fürs Gas verlangt wird".
Palmer sagte: "Energieintensive Betriebe können keine Gasumlage oben drauf bezahlen. Da muss einfach eine Ausnahme gemacht werden."
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500 Arbeitsplätze gefährdet
Boris Palmer zeichnete ein düsteres Zukunftsszenario. Für den Fall, dass das Gas abgedreht werde, könne das Tübinger Textilunternehmen nicht mehr liefern: "Das sind 500 Arbeitsplätze in meiner Stadt, ein riesiges Desaster für jede Familie, die davon betroffen ist. Das muss verhindert werden."
Palmer verstehe nicht, dass "Symbolmaßnahmen", wie, dass das Rathaus in Tübingen nicht mehr beleuchtet werden dürfe, vom "Bundesgesetzgeber" vorgeschrieben werden und die "wirklich großen, wichtigen Schalthebel" nicht benutzt würden. Er sagte: "Diese großen Maßnahmen, damit wir durch den Winter kommen, vermisse ich für unsere Industrie."
Kiesewetter: das Entscheidende, dass Wirtschaft funktioniert
Zustimmung erhielt Palmer vom CDU-Politiker Roderich Kiesewetter. Die Wirtschaft stehe auch in der europäischen Regelung der Energieversorgung "erst an zweiter Stelle". Zuvorderst beinhalte sie Priorisierungen für Privathaushalte, Krankenhäuser, soziale Einrichtungen und Sicherheitseinrichtungen.
Kiesewetter stellte diese Priorisierung in Frage: "Es würde wenig helfen, wenn die Menschen mit Arbeitslosengeld (…) – bald heißt es Bürgergeld – zuhause sitzen, ihre Temperaturen einstellen, aber eben nicht mehr arbeiten." Deswegen sei "das Entscheidende, dass die Wirtschaft funktioniert". Diese werde aus Kiesewetters Sicht "zu wenig betrachtet (…), sondern eher geregelt, ob die Deutschen mit 24 oder mit 18 Grad zurechtkommen".
Kiesewetter: Appell an Bundesregierung
Kiesewetter richtete seinen Blick direkt in die Kamera: "Mein Appell ist politische Führung, dass (…) vom Bundeskanzler, von den Parteivorsitzenden – vielleicht sogar übergreifend auch unter Einbeziehung der Opposition – gesagt wird: Liebe Bevölkerung, wir haben zwei, drei harte Jahre vor uns. So lang wird der Krieg dauern (…)." Denn "unsere Bevölkerung" stehe "unter erheblichen Belastungen", die "wir Abgeordneten (…) und die Regierung erst recht" verstehen müssten.
Kiesewetter weiter: "Deshalb ist es wichtig, dass Rücklagen gebildet werden können, dass Entlastungen erfolgen." Einiges an den Entlastungspaketen der Bundesregierung" wie die Zuschüsse für Rentner und Studierende seien zwar "vernünftig". Diese würden jedoch nicht ausreichen, so Kiesewetter.
CDU-Chef und Oppositionsführer Friedrich Merz hat vor Stromausfällen im Herbst und Winter gewarnt. Zudem hat er die Bundesregierung für ihr drittes Entlastungspaket kritisiert.