In Polen, wo aktuell die meisten Geflüchteten ankommen, versuchen pro-russische Accounts die Solidarität der Menschen zu untergraben. Bisher ohne größeren Erfolg.
Polen nimmt aktuell in Europa die meisten Geflüchteten Menschen aus der Ukraine auf: in den vergangenen vier Wochen sind laut Daten des UNHCR mehr als 3,8 Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet, 2,27 Millionen davon nach Polen. Die Solidarität mit den Geflüchteten ist aktuell groß, doch es gibt Versuche, den Zusammenhalt mit Desinformation und Fake News zu untergraben.
Diese Versuche begannen schon vor der russischen Invasion am 24. Februar. In den sozialen Medien habe es schon seit dem 22. Februar anti-ukrainische Aktivität im polnisch-sprachigen Internet gegeben, berichtet Marta Kozłowska, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) der TU Dresden.
Vorbereitung der Invasion: Misstrauen und Angst
Ganz genau untersucht haben diese Aktivitäten die Mitarbeiter des Instituts für Internet- und Social-Media-Forschung in Warschau. Bereits am 21. und 22. Februar, also kurz vor dem russischen Angriffskrieg, registrierten die Wissenschaftler 4.500 Erwähnungen pro-russischer Natur oder zur Unterstützung von Russlands Vorgehen gegenüber der Ukraine. Zwei Millionen Nutzer wurden mit diesen Beiträgen etwa erreicht. Ukrainer wurden in den Beiträgen als "Hunde" und "Mörder" bezeichnet, oder es wurde geschrieben, "sie sind keine Menschen".
Das Hauptziel der Verbreitung dieser Botschaften habe darin bestanden, ein Gefühl des Misstrauens gegenüber dem Handeln der polnischen Regierung und internationaler Organisationen hervorzurufen und gleichzeitig ein Gefühl der Bedrohung durch die Bürger der Ukraine zu schaffen.
Start der Invasion auch im Netz
Am 24. Februar etwa gegen 9 Uhr wurde dann ein Massen-Desinformationsangriff auf das polnische Internet und die sozialen Medien zugunsten der russischen Erzählung der "Militäroperationen in der Ukraine" registriert. Etwa 300 Accounts und Profile beteiligten sich an dem Desinformationsangriff, der hauptsächlich auf die großen Nachrichtenportalen mit uneingeschränktem Zugriff auf die Kommentarfunktion sowie auf Facebook und Twitter zielte.
Der Angriffs soll dazu gedient haben, die positive Stimmung der Polen in Bezug auf die Moral der ukrainischen Soldaten abzuschwächen und Berichte über russische Verluste zu diskreditieren. Es wurden aber auch nationalistische Ressentiments bedient und Hassbotschaften gegen ukrainische Bürger gepostet.
Organisierte Desinformation gegen EU und Nato
In den folgenden Tagen der Invasion konnten die Experten des Instituts für Internet- und Sozialmedienforschung die Aktivität von mindestens drei organisierten Arbeitsgruppen identifizieren. Diese zielten mit ihren Botschaften auch darauf ab, die polnischen Behörden und internationale Organisationen wie die EU und die Nato zu diskreditieren und parallel das Image der Russischen Föderation zu verbessern.
Es wurden aber auch andere Themen in den Fokus genommen: Ende Februar versuchten die Accounts etwa Desinformation über Kraftstoffpreise und die Verfügbarkeit von Diesel und Benzin in Polen zu streuen.
Baltikum und Polen appellieren an Tech-Firmen
In dieser Phase riefen die baltischen Staaten und Polen Meta (Facebook, Instagram), Twitter, Google und Youtube dazu auf, die Verbreitung von Desinformationen über Russlands Invasion in die Ukraine einzuschränken. In einem gemeinsamen Schreiben fordern die Regierungschef*innen der vier EU- und Nato-Länder, proaktiv Konten in sozialen Medien zu sperren, die zu Angriffskriegen anstiften oder diese rechtfertigen und falsche Informationen verbreiten.
- Bleiben Sie auf Stand mit dem ZDFheute Update
Das Aktuellste zum Krieg in der Ukraine und weitere Nachrichten kompakt zusammengefasst als Newsletter - morgens und abends.
Desinformation zeigt noch keine größere Wirkung
Aktuell scheinen die pro-russischen Beiträge jedoch noch nicht in der polnischen Gesellschaft anzukommen: "Die eindeutig negative antirussische Stimmung hält an", schreibt das Institut für Internet- und Social-Media-Forschung in seinem Blog.
Und auch Marta Kozłowska bestätigt die anhaltende Solidarität mit den Menschen aus der Ukraine. Die Bereitschaft, Menschen aufzunehmen, sei weiterhin sehr hoch - etwa bei 90 Prozent. Alle - abgesehen von rechtsextremen Kräften - würden den Kurs und die Regierung unterstützen.
Aber, gibt Kozlowska zu bedenken: Der Wohnungsmarkt in Polen war auch schon vor dem Krieg angespannt. Der Platz für Geflüchtete wird enger werden. Und auch finanziell ist die Fluchtbewegung eine riesige Herausforderung: Erste Einschätzungen gingen davon aus, das die Aufnahme der Menschen fünf bis sechs Milliarden Euro pro Jahr kosten wird. Geld, das Polen nicht habe. Es werde viel Kraft und auch die Hilfe der EU brauchen, damit die Desinformation weiterhin so wenig Wirkung zeige.
-
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:
Liveblog- Aktuelles zum Krieg in der Ukraine
Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.