Drohnen-Attacken auf Zivilisten, Atom-Drohungen - was kann der Westen tun gegen Russlands Strategie der verbrannten Erde? Darüber diskutierten Experten bei "maybrit illner".
Zu Gast sind Katarin Barley (SPD), Vizepräsidentin des EU-Parlements, Militärexperte Gustav Gressel, Journalistin Alice Bota, Osteuropakennerin Liana Fix und Sergey Lagodinsky, Grünen-Europapolitiker.
Der Militär- und Sicherheitsexperte Gustav Gressel sagt, die Angriffe Russlands auf die zivile Infrastruktur hätten kaum Konsequenzen an der Front. Aber sie würden die ukrainische Wirtschaft zerstören und das Land somit weiter in die Abhängigkeit des Westens treiben.
Putin baue darauf, dass die Kosten dem Westen zu hoch werden, sodass der politische Druck auf den ukrainischen Präsidenten Selenskyj steige, die annektierten Gebiete aufzugeben. Deshalb schüre Russland auch die Furcht vor einer nuklearen Katastrophe.
Die nuklearen Drohungen Putins sind real. Die NATO nehme diese ernst, sie bleibe wachsam und habe Pläne für alle Arten von Risiken, so Generalsekretär Stoltenberg.
Bota: Putin terrorisiert Bevölkerung
Für die "Zeit"-Journalistin Alice Bota geht es Putin neben der Zerstörung der ukrainischen Infrastruktur darum, "die Bevölkerung zu terrorisieren": "Diese Drohnen können jedes Ziel treffen." Allerdings gehe die Rechnung nicht auf, der Rückhalt in der Ukraine zur Haltung der Staatsführung sei groß.
"Wir sehen eine Strategie der Eskalation aus einer Position der Schwäche", sagt die Russland-Expertin Liana Fix. Putin ziele darauf ab, dass es den westlichen Unterstützern der Ukraine zu gefährlich wird. Problematisch sei, dass die EU bei den Auszahlungen an die Ukraine ihren Versprechungen hinterher hinke und der Abstand in Sachen militärischer Unterstützung zu den USA immer größer werde.
Bota sieht die Gefahr einer Spaltung der EU und innerhalb Deutschlands: "Auch hierzulande wird es immer schwieriger werden. Dieser Krieg wird dauern, die Kosten sind enorm."
USA in Führungsrolle
Fix vermisst in diesem Konflikt eine deutsche Führungsrolle. Die EU überlasse diese Rolle den USA. Gressel mahnt: "Wir haben jetzt nicht die Zeit, Selbsttherapie zu spielen." Europa könne sich nicht darauf verlassen, dass die USA dauerhaft die Führungsrolle übernehmen.
Russland müsse den Krieg verlieren, damit es nicht zur militärischen Führungsmacht Europas wird. "Darauf, die Verantwortung für uns selbst zu übernehmen, ist Europa überhaupt nicht vorbereitet", sagt Fix mit Blick auf einen möglichen politischen Kurswechsel der USA nach der nächsten Präsidentschaftswahl.
- Wie die USA Putin entgegentreten
Die USA warnen ihre Verbündeten davor, sich von Putins atomarer Drohungen im Ukraine-Krieg einschüchtern zu lassen. Der Westen müsse Russland entschlossen entgegentreten.
Lagodinsky: Kanzlerpartei muss klare Linie fahren
Für Sergey Lagodinsky, in Russland geborener, deutscher Europaparlamentarier der Grünen, sind die Waffenlieferungen an die Ukraine eine "humanitäre Pflicht".
Deutliche Kritik übt Lagodinsky an Äußerungen aus der SPD und speziell aktuell von Fraktionschef Rolf Mützenich, die sich für mehr diplomatische Lösungen aussprechen – vor dem Hintergrund vielfach als zu zögerlich kritisierter Waffenlieferungen.
"Wir müssen Gespräche dazu führen, wie wir die Kanzlerpartei dazu bringen, eine einheitliche, klare Linie zu fahren. Dieses Hin und Her beschädigt die Koalition und die Europäische Union. Wir sind in Brüssel als Deutschland unten durch. Das kommt davon, dass die Signale so widersprüchlich sind", sagt Lagodinsky. Es fehle an der Regierungsspitze an Krisenführung.
- "Putin wird Kriegsziele nicht erreichen"
Russlands Drohnen-Angriffe, steigende Energiepreise und die Debatte um einen Gaspreisdeckel - worüber Kanzler Scholz in seiner Regierungserklärung gesprochen hat.
Barley: Deutschland erwecke Argwohn
Ein diplomatischer Ansatz ist für Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des Europaparlaments, nur sinnvoll, wenn ein Ergebnis möglich ist, das die Ukraine auch akzeptiert. Das sei nicht in Sicht.
Deutschland erwecke allerdings Argwohn, wenn es zu sehr in eine Führungsrolle strebe. "Natürlich sind wir eine Führungsmacht, aber wir sind nicht die Führungsmacht, die sich an die Speerspitze der Bewegung stellt", sagt Barley.
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