Deutschland will schon bald Kinder aus Flüchtlingslagern auf den griechischen Ägäis-Inseln aufnehmen. Aber nicht im Alleingang. Einige EU-Staaten sind bereit.
Die Regierung reagiert auf die prekäre Lage für Kinder in den Flüchtlingslagern in Griechenland. Bis zu 1500 Kindern sollen nun aufgenommen werden – sofern andere EU-Länder mitziehen.
Deutschland und andere europäische Staaten wollen in den kommenden Wochen insgesamt bis zu 1.500 Kinder aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Ägäis-Inseln aufnehmen.
Merkel: Deutschland trägt Mitverantwortung für Kinder
Deutschland fühlt sich nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dafür verantwortlich, dass Flüchtlingskindern in griechischen Lagern geholfen wird. Griechenland könne dies "nicht allein leisten", sagte Merkel mit Blick auf den Koalitionsbeschluss aus der Nacht.
SPD und Union hatten bei einem Treffen im Kanzleramt beschlossen, Griechenland solle unterstützt werden bei der "schwierigen humanitären Lage von etwa 1.000 bis 1.500 Kindern auf den griechischen Inseln".
Kranke und unbegleitete Kinder unter 14 Jahre
Es gehe um Kinder, die schwer erkrankt oder unbegleitet und jünger als 14 Jahre sind, die meisten davon Mädchen. Auf europäischer Ebene werde derzeit verhandelt, um in einer "Koalition der Willigen" die Übernahme dieser Kinder zu organisieren. "In diesem Rahmen steht Deutschland bereit, einen angemessenen Anteil zu übernehmen", teilte die Koalition mit.
Nach Angaben aus Koalitionskreisen geht es bei der Aufnahme der Minderjährigen unter anderem um 95 kranke Kinder, die teilweise auch schon für eine Behandlung auf das griechische Festland gebracht wurden. Sie sollen zusammen mit ihren Familien umgesiedelt werden. Es werde auch überlegt, die Anträge unbegleiteter Minderjähriger auf Familiennachzug schneller zu bearbeiten.
Hilfe in Idlib je nach Waffenruhe
Außerdem betonten die Parteichefs die Notwendigkeit, in der umkämpften syrischen Provinz Idlib humanitäre Hilfe zu leisten. Dort waren nach dem Vorrücken der von Russland unterstützten syrischen Regierungstruppen fast eine Million Menschen vertrieben worden.
Ob sie mit Hilfsgütern beliefert werden können, hängt allerdings auch davon ab, wie stabil die Waffenruhe ist, die Russland und die Türkei vereinbart haben.
ZDF-Korrespondent Florian Neuhann sieht in dem Koalitionsbeschluss "nur ein sehr kleines humanitäres Signal":
Die große Koalition hat beschlossen, besonders schutzbedürftige Kinder und Jugendliche aus Griechenland aufnehmen zu wollen. ZDF-Korrespondent Florian Neuhann berichtet aus Berlin.
Nicht alle EU-Länder beteiligen sich
Wie viele EU-Staaten mitmachen und wie viele der Kinder nach Deutschland gebracht werden, ist aber noch unklar. Der Sprecher des Innenministeriums erklärte: "Es haben erste Länder ihre Bereitschaft erklärt."
Regierungssprecher Steffen Seibert betonte aber, "dass es leider nicht die Aussicht gibt", dass sich alle 27 Staaten beteiligen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte in Brüssel, es gebe positive Reaktionen auch aus Frankreich, Portugal, Luxemburg und Finnland.
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Einen Mechanismus, um solche humanitären Aufnahmen zu organisieren, gibt es in Brüssel bereits. Er war für die Verteilung von aus Seenot geretteten Flüchtlingen, die auf Malta oder in Italien ankommen, etabliert wurden.
Allerdings gibt es hierbei auch einige Staaten, die sich zwar beteiligen, dies aber öffentlich nicht kommunizieren - um politischen Gegnern aus dem rechten Lager daheim keine Munition zu liefern. Von den im Bundestag vertretenen Parteien sprach sich einzig die AfD strikt gegen eine Aufnahme von Kindern von den griechischen Inseln aus.
Esken: Beschluss dauerte "beschämend lange"
Zuerst müsse nun Griechenland beim Schutz der EU-Außengrenzen geholfen werden, zugleich müsse humanitäre Hilfe für besonders Schutzbedürftige in Griechenland geleistet werden, so der Bundesinnenminister Horst Seehofer.
SPD-Chefin Saskia Esken zeigte sich zwar "froh" über den Koalitionskompromiss - allerdings habe es "beschämend lange gedauert, bis wir uns einig waren".
Bedingungen für weitere Türkei-Hilfen
Derweil knüpfte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) weitere Flüchtlingshilfen für die Türkei an Bedingungen. "Wir stehen zu einer fairen Lastenteilung, aber wir akzeptieren nicht, dass Menschen, die sich ohnehin in einer verzweifelten Lage befinden, auch noch als politisches Faustpfand missbraucht werden", schrieb Maas auf Twitter.
Brüssel stellt sich auf schwierige Gespräche mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zur Lage der Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze ein.
Die EU stehe noch am Anfang eines neuen Dialogs mit Ankara, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag vor einem Treffen mit Erdogan am Abend in Brüssel. Sicher sei, dass die Grenzen nicht für Migranten geöffnet würden.
Seit der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan Ende Februar nach Eskalation des militärischen Konflikts in der nordsyrischen Provinz Idlib die Grenzen für in die EU strebende Flüchtlinge geöffnet hatte, nahm der Flüchtlingsandrang in Richtung Griechenland stark zu.
Linke und Pro Asyl kritisieren Beschluss
Die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Gökay Akbulut, kritisierte einen "kosmetischen Schaufensterkompromiss" der Großen Koalition. In Griechenland lebten "weit über 4.000 unbegleitete Minderjährige allein, überwiegend unter unmenschlichen Bedingungen". Alle Kinder bräuchten Schutz.
Pro Asyl nannte den Koalitionsbeschluss einen "Gnadenakt, der mehr der Beruhigung des eigenen schlechten Gewissens dient". Dies sei "unangemessen zur Lösung der Krise", sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Die AfD-Fraktionschef Alice Weidel und Alexander Gauland sprachen von einem "Dammbruch". Die Aufnahme von Kindern werde bald den Ruf nach Familiennachzug laut werden lassen.
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Insgesamt 14.000 Flüchtlingskinder
Die Entscheidung der Großen Koalition sei "ein Schritt in die richtige Richtung", erklärte die Hilfsorganisation World Vision. Dabei dürfe es aber nicht bleiben, hieß es unter Verweis auf die mehr als 14.000 geflüchteten Kinder, die derzeit auf den griechischen Inseln ausharrten.
Auch der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration nannte die Aufnahme von Flüchtlingskindern richtig. Das könne aber nur ein Anfang sein, "weitere Taten müssen folgen".