Wahlkampf: Warum Migranten für die AfD werben

    Wahlkampf vor allem im Internet:Warum Migranten für die AfD werben

    Porträt des ZDF-Landesstudioleiter Nordrhein-Westfalen Normen Odenthal
    von Normen Odenthal
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    Sie geben ihre Stimme der AfD oder kandidieren selbst: Bürger mit Migrationshintergrund. Sie unterstützen die Partei - trotz des migrationskritischen Programms oder wegen. Warum?

    Schaltgespräch Stefan Marschall & Nazan Gökdemir
    Unter den Wählern der AfD sind auch Migranten. Unter anderem die Rollenbilder, die die Partei vertritt, seien "für einige Communities" ansprechend, so Politologe Stefan Marschall.05.02.2025 | 4:04 min
    Jeremy Jason zieht den Mantelkragen hoch an diesem frühen Morgen - das schützt gegen die Kälte und vielleicht auch gegen alles, was ihm sonst noch entgegen weht. "Ich begreife nicht, wie ausgerechnet Sie Werbung für diese Partei machen", sagt ein junger Mann. "Die wollen doch Ausländer abschieben."

    Von der Karibik nach Kerpen - und zur AfD

    Diese Partei - das ist die AfD. Und "ausgerechnet Sie" - das zielt auf Jason selbst: Er hat Migrationshintergrund. Jeremy Jason, vor 37 Jahren in der Karibik geboren, aufgewachsen in Kerpen, Vater von acht Kindern, Projektmanager in der Bauindustrie - und nun Direktkandidat der AfD im Wahlkreis 90, Rhein-Erft.
    Der Kandidat der CDU gilt hier als klarer Favorit. "Ich würde mich freuen, ihn ein bisschen nervös zu machen", sagt Jason. Und lächelt. Überhaupt: Er lächelt viel. Die Stimmung am Stand in der Fußgängerzone von Bergheim ist gut, die Partei spürt Aufwind. Jason ist wortgewandt und kommunikativ. Dem kritischen Fragesteller am Wahlkampfstand hält er freundlich entgegen:

    Ich kandidiere für die AfD. Und ich habe nicht vor, mich selbst rauszuschmeißen.

    Jeremy Jason, AfD-Kandidat für den Bundestag

    Und er ergänzt: "Ich habe auch noch nie einen davon reden hören, dass das passieren soll."
    Alice Weidel
    Nachdem Pläne zur sogenannten Remigration das Land in Aufruhr versetzt haben, versucht die AfD abzuwiegeln. Dabei wird immer deutlicher, dass Ausweisungen schon länger Thema sind.23.01.2024 | 2:35 min
    Für Jason bedeutet "Remigration" - also die Rückführung von Geflüchteten in ihre Herkunftsländer -, dass geltendes Recht wieder umgesetzt werden müsse. Wer illegal oder kriminell sei, der müsse raus aus Deutschland. "Eingrenzen, nicht ausgrenzen", sagt Jason.

    Remigration ist ein Fachbegriff aus der Migrationsforschung und bezeichnet die Rückwanderung von Emigranten in ihre Heimat. In Deutschland wurde er um 1900 für zurück gewanderte Deutsche aus Nord- und Südamerika verwendet, die zunächst als Re-Emigranten und später dann verkürzt als Remigranten bezeichnet wurden. In diesem Sinne will zum Beispiel AfD-Politiker Björn Höcke den Begriff nun verstanden wissen.

    Allerdings ist der Begriff schon seit Jahren als Schlagwort in rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen in Gebrauch und wird für massenhafte Vertreibung von Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland verwendet. Der neutrale, akademisch klingende Begriff soll dabei die tatsächliche Brutalität der Maßnahmen verschleiern. "Remigration" wurde deshalb zum Unwort des Jahres 2023 gekürt.

    Auch "strammere Positionen" in AfD

    Dass es radikalere Stimmen in seiner Partei gibt, kann Jason nicht leugnen. Er formuliert das so: "Ich denke, dass es durchaus Positionen gibt, die einen Anschein dazu machen, und die auch tendenziell in diese Richtung wahrgenommen werden können."
    Das ist nicht gerade der Klartext, den die Partei gerne verspricht. Laut Jason komme es auf das Gesamtangebot der AfD an. Und das sei eine Mischung aus jenen "etwas stabileren, strammeren Positionen" und seiner "liberalen". Was dabei herauskommt, ist für Jason jedenfalls keinesfalls rassistisch oder rechtsextrem.
    Demo "Junge Alternative", Teilnehmer mit Banner: "Deutsche Jugend fordert Remigration!"
    Bereits 2018 hatte eine AfD-Delegation dem syrischen Diktator Bashar al-Assad vorgeschlagen, nach Deutschland geflohene Syrer in das Bürgerkriegsland "zurückzuführen".23.01.2024 | 6:50 min

    Sieben Millionen Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund

    Der Berliner Soziologe und Extremismusforscher Özgür Özvatan sieht eine Strategie der AfD, Menschen mit Migrationshintergrund auch an prominenter Stelle einzusetzen.

    Sie sind zum einen ein Feigenblatt, zum anderen muss die AfD auch die Wählergruppen mit Migrationsgeschichte ansprechen, wenn sie eine Volkspartei werden will.

    Özgür Özvatan, Soziologe Humboldt-Universität Berlin

    Aktuell haben insgesamt sieben Millionen Wahlberechtigte einen Migrationshintergrund, etwa zwölf Prozent. "Aber wenn wir uns die jüngeren Kohorten anschauen", merkt der Forscher an, "da liegt der Anteil bei fast 50 Prozent".

    Stimmung in Deutschland
    :Bundestagswahl: So steht es in den Umfragen

    Welche Partei führt in den Umfragen zur Bundestagswahl? Wen hätten die Deutschen am liebsten als Kanzler? Welche Koalitionen wären möglich? Die wichtigsten Zahlen im Überblick.
    von Robert Meyer
    Ein Diagramm von den Verteilungen der Parteien in den Umfragen. Im Hintergrund weht vor dem Bundestag eine Deutschland-Fahne

    AfD erreicht (junge) Wähler vor allem im Netz

    Die jungen Wähler spricht die AfD an, wo sie sind: im Internet. Dort dominiert die AfD das politische Angebot, und die Trommler sind laut. In kurzen Clips, aufgenommen auf dem Sofa oder im Auto, werden Botschaften verbreitet wie unter anderem von einem Mann mit schwarzer Hautfarbe: "Alice Weidel, der traue ich das zu". In einem anderen Clip sagt eine Frau schlicht: "Ich bin Türkin, und ich wähle die AfD." Nur wer für Abschiebungen eintrete, "ist doch kein Rassist".
    Migranten in der AfD: Ein Widerspruch?
    21% der Menschen mit Migrationsgeschichte halten die AfD für wählbar, das wurde in einer aktuellen Studie herausgefunden. Über die Gründe berichtet Normen Odenthal.04.02.2025 | 2:57 min
    Der Soziologe Özvatan ordnet die Aussagen auf den Social Media-Plattformen folgendermaßen ein:

    Es gibt Indikatoren, dass Menschen mit Migrationshintergrund stärker Social Media nutzen als Menschen ohne Migrationshintergrund. Und wer auf diesen Plattformen nach politischen Inhalten sucht, stellt fest: drei von vier Videos kommen von der AfD.

    Özgür Özvatan, Soziologe und Extremismusforscher

    Das heißt: Die Partei hat in der Social-Media-Vermarktung die Nase vorn, hängt alle anderen ab. Migrationshintergrund kann also hilfreich sein - auch für eine Karriere in der AfD. Gerade beim Thema Migration.
    Jeremy Jason meint: "Ich kann Sachen durchaus einfacher sagen und nicht direkt ins Fadenkreuz kommen, als wenn es jemand sagt, der quasi deutscher Staatsbürger ist." Was Jason natürlich auch ist. Sonst könnte er nicht kandidieren. Nicht für die AfD und auch für sonst keine Partei.
    AfD-Plakat
    "Auf alle Fälle muss es natürlich eine Grenzsicherung geben, die den Namen auch wirklich verdient. Natürlich gehören dazu auch Zäune", so Tino Chrupalla, AfD-Parteivorsitzender.05.02.2025 | 7:40 min

    Bundestagswahl 2025
    :Merz, Scholz, Habeck stellen sich gegen AfD

    Eine Woche vor der Bundestagswahl grenzten sich Merz, Scholz und Habeck in einer TV-Runde klar von der AfD ab. Alle News zur Bundestagswahl im Liveblog.
    TV-Diskussion der Kanzlerkandidaten zum Bundestagswahlkampf, aufgenommen am 16.02.2025
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