Pirna in Sachsen:AfD-Kandidat gewinnt erstmals OB-Wahl
von Thomas Bärsch, Dresden
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Erstmals hat ein Kandidat der AfD eine Oberbürgermeisterwahl gewonnen. Tim Lochner setzte sich im sächsischen Pirna im zweiten Wahlgang mit 38,5 Prozent der Stimmen durch.
Der AfD-Kandidat Tim Lochner ist im sächsischen Pirna zum Oberbürgermeister gewählt worden. Noch vor Kurzem hatte der Verfassungsschutz die AfD Sachsen als rechtsextrem eingestuft.18.12.2023 | 1:31 min
Tim Lochner kann es selbst kaum glauben. Als am Sonntagabend kurz nach 18:00 Uhr die ersten zwei Wahllokale ausgezählt sind und die Balken auf dem Monitor an der Wand erscheinen, sehen sie den parteilosen Kandidaten auf der AfD-Liste mit fast 50 Prozent weit von. Am Ende gewinnt Lochner die Wahl mit 38,5 Prozent.
Das Ergebnis lässt in den kleinen Räumen der AfD-Kreisgeschäftsstelle alle Dämme brechen. "Wer wird Oberbügermeister von Pirna?", fragt einer laut in die Runde und die knapp 50 Gäste antworten im Chor: "Lochner!", "Tim?", "Lochner?", "Tim?", "Lochner!"
Es ist wie im Fußballstadion, wo der Stadionsprecher den Vornamen eines Torschützen bekanntgibt – und die Fans den Nachnamen im Chor ergänzen.
AfD-Landesvorsitzender: Sieg hat Symbolkraft
Tim Lochner verschwindet kurz in einer Jubeltraube der anwesenden AfD-Lokal- und Landespolitiker, jenen Politikern, auf deren Liste er antrat, weil er sich auch deren Politik verbunden fühlt. Und die wissen, wie wichtig Lochner für sie ist.
Nicht als Oberbürgermeister, der angekündigt hat, sich sein Handeln nicht von der AfD diktieren lassen zu wollen, sondern als Symbol. Als Symbol, dass die AfD Wahlen gewinnen kann.
Der AfD-Landesvorsitzende Jörg Urban wird später den Reportern in die Kameras diktieren:
Lochner setzt sich im zweiten Wahlgang durch
Das Ergebnis hat eine Vorgeschichte. Der erste Wahlgang im November brachte kein verwertbares Ergebnis. Es musste also ein zweiter her. Oft wägen in solchen Fällen die Verlierer ihre Chancen ab, verhandeln, treten dann zugunsten eines aussichtsreicheren Kandidaten zurück.
Nicht so in Pirna. Hier glaubten sowohl Ralf Thiele von einer Freien Wählen-Vereinigung als auch Kathrin Dollinger-Knuth (CDU), das Ruder noch herumreißen zu können.
Offenbar war die Versuchung, nach der alleinigen Macht zu greifen größer als der gemeinsame Wunsch, einen Kandidaten der AfD-Liste zu verhindern.
CDU-Kandidatin: AfD muss jetzt auch liefern
Nun genügt in Sachsen in solchen Fällen im zweiten Wahlgang die einfache Mehrheit. Und so reichten die 38,5 Prozent für Tim Lochner. Die beiden Gegenkandidaten lagen mit etwa 30 ziemlich genau gleich auf.
"Wir dürfen nicht vergessen", interpretiert Dollinger-Knut (CDU) das Ergebnis, "dass insgesamt 60 Prozent der Pirnaer gegen die AfD gestimmt haben." Nun gehe man eben in die Opposition und Lochner als Oberbürgermeister und die AfD müssten nun auch liefern.
Lochner erhielt 38,54 Prozent der Stimmen, Dollinger-Knuth 31,39 Prozent und Thiele 30,08 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 53,8 Prozent.
Lochner engagiert in der Stadt - außerhalb unbekannt
Lochner ist außerhalb der Stadt weitgehend unbekannt. Der Tischlermeister verbrachte sein ganzes Leben hier, engagiert sich schon lange in verschiedenen Vereinen und öffentlichen Ämtern und konnte schon bei der letzten Oberbürgermeisterwahl 2017 ungefähr so viele Stimmen einsammeln wie jetzt.
Lochner ist kein Hardliner, kein Ideologe, kein sächsischer Björn Höcke. Aber jemand, der sich offenbar auch anfällig für Verschwörungsmythen zeigt.
Wegen des Vorwurfs der Verwendung von NS-Vokabular muss der Thüringer AfD-Chef vor Gericht. In Halle an der Saale hat das Landgericht die Anklage zugelassen.13.09.2023 | 2:07 min
Lochner vergleicht Corona-Politik mit Guantanamo
"Aufgewacht in Quarantanamo", so begrüßt er Besucher im sozialen Netzwerk Facebook, und setzt damit die Corona-Politik in Bezug zum Foltergefängnis Guantanamo. An anderer Stelle mutmaßt er, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer befürworte den "großen Volksaustausch".
Darauf angesprochen verweist er auf eine Grundschule mit 38 Prozent Ausländeranteil, legt aber Wert darauf, all diese Äußerungen privat getätigt zu haben und nicht in seiner Funktion als Stadtrat, es seien also persönliche Meinungen und keine politischen Statements.
Mitarbeiter will Lochner auf Loyalität überprüfen
Nun also ist Lochner ab Montag als Oberbürgermeister Teil jenes Systems, dem er offenbar skeptisch gegenübersteht. Er wolle sich Zeit lassen, sagt er am Abend, die Dinge mit Ruhe angehen, jeden "Mitarbeiter im Rathaus persönlich kennenlernen und auf dessen Loyalität überprüfen".
Ob er kein Problem damit habe, fragt ein Reporter noch, auf der Liste einer Partei angetreten zu sein, die als rechtsextremistisch eingestuft werde? Lochners Antwort fällt knapp aus. "Nein."
Quelle: ZDF
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