Bundestagssitzung vor Wahl: Viel Spott und Abschiedsschmerz

    Letzte Sitzung im Bundestag:Spott, Nervenflattern und ein paar Klöße

    Kristina Hofmann
    von Kristina Hofmann
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    Die letzte Bundestagssitzung vor der Wahl hat mehr vom großen Drama als von einer Parlamentsdebatte. Überall weht ein Hauch von Abschied - und Kevin Kühnert gibt ein Kurz-Comeback.

    erlin, Deutschland, 11.02.2025: Deutscher Bundestag: 212. Bundestagssitzung: L-R: Bundesminister fuer Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck (Buendnis90/Die Gruenen), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Verteidigung Boris Pistorius (SPD)
    In der letzten Bundestagssitzung dieser Legislatur wurde hitzig debattiert. Zugleich verabschiedeten sich Abgeordnete, die sich nicht erneut für den Bundestag zur Wahl stellen.11.02.2025 | 2:55 min
    Zum Schluss gibt der Bundestag noch einmal alles, die ganze Palette der Emotionen, die es auch in der Politik gibt: Hohn und Spott, Kampf und Leidenschaft, Kalkül und Berechnung, Umarmung und Händeschütteln. Auch ein paar dicke Klöße im Hals sind spürbar, Abschiedsschmerz. Alles liegt in der "Situation in Deutschland", dem einzigen Tagesordnungspunkt der letzten Sitzung des Bundestages, zwölf Tage vor der Bundestagswahl.
    Der Plenarsaal wird zu Wahlkampfbühne, mehr als drei Stunden lang. Und alle nutzen sie, um für den Endspurt zentrale Botschaften loszuwerden. Um das zu platzieren, was bis zum Wahltag am 23. Februar hängen bleiben soll.
    SGS Schmiese
    Wahlkampf pur bei der letzten Bundestagsdebatte vor der Wahl: Vor allem zwischen Kanzler Scholz und CDU-Chef Merz ging es heftig zu Sache. Einschätzungen von Wulf Schmiese. 11.02.2025 | 1:15 min

    Scholz: Nervenstärke statt Wankelmut

    Der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betont, dass es für dieses Amt "Führungsstärke, Nervenstärke", auch "Besonnenheit" und "klare Kante" brauche. Alles also, was laut Scholz sein Herausforderer Friedrich Merz (CDU) eben nicht habe. Es brauche nicht "Wankelmut und Sprücheklopfen", sagt Scholz und schaut den Oppositionsführer in der ersten Reihe direkt an.
    Merz und der Union, die in den Umfragen auf eine fast doppelt so hohe Zustimmung kommen wie die SPD, wirft Scholz vor, mit seinen Grenzschließungsplänen würde er "die Axt an Europa legen". Mit seinen Migrationsplänen habe er "im Affekt" eine Stimmenmehrheit mit der AfD gesucht, um seine Migrationspläne durch den Bundestag zu bekommen. Und werde das auch nach der Wahl tun:

    Deshalb geht es darum, Schwarz-Blau zu verhindern.

    Olaf Scholz, SPD

    Scholz bei letzter Debatte im Bundestag
    Deutschland werde durch die Krisen kommen, wenn man nicht falsch abbiege, erklärt Kanzler Scholz im Bundestag und greift Oppositionsführer Merz an. Die komplette Rede im Video.11.02.2025 | 28:42 min

    Merz: SPD baut "Popanz" auf

    Es ist vermutlich auch dieser Vorwurf, warum Merz seine vorbereitete Rede erst einmal beiseitelegt. Merz fragt Richtung Regierungsbank fast amüsiert:

    Was war das denn?

    Friedrich Merz, CDU

    Um dann eine Menge Spott zu verteilen und Scholz als denjenigen darzustellen, der angeblich vom "normalen Leben" keine Ahnung habe. Der nicht, wie Merz selbst, in der Wirtschaft gearbeitet habe. Oder zumindest seit Jahrzehnten nicht mehr.
    Der Kanzler und sein Vize Robert Habeck (Grüne) komme ihm vor, sagt Merz, wie zwei Geschäftsführer, "die das Unternehmen an die Wand gefahren haben und dann zu den Eigentümern gehen und sagen: Wir würden das jetzt gerne nochmal vier Jahre so weitermachen."
    Merz bei letzter Debatte im Bundestag
    CDU-Chef Merz wirft dem Kanzler vor, auf die Herausforderungen nach der russischen Invasion in der Ukraine falsch reagiert zu haben. Seine Wirtschaftspolitik sei ein Desaster.11.02.2025 | 24:24 min
    Der SPD wirft er vor, einen "Popanz" aufzubauen, ein "Theater" vorzuführen: "Wie nervös sind Sie denn?" Man wüsste genau, dass die Union keine Zusammenarbeit mit der AfD suche. Und er erinnert an den 24. Februar. Dann nämlich, wenn das Wahlergebnis feststeht und alle Parteien wieder miteinander reden müssten.

    Stimmung in Deutschland
    :Bundestagswahl: So steht es in der letzten Umfrage

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    Ein Diagramm von den Verteilungen der Parteien in den Umfragen. Im Hintergrund weht vor dem Bundestag eine Deutschland-Fahne

    Habeck kritisiert "Bummeligkeit und Dösigkeit"

    Grünen-Kanzlerkandidat Habeck geht es um eine andere Botschaft. Seine Kritik an Union und SPD:

    Es fehlt die Zukunft.

    Robert Habeck, Grüne

    Habeck nennt die Klimapolitik und die Konzentration auf den Verbrennermotor beim Auto. Dabei werde der Industrie vorgeworfen, sie könne nicht innerhalb von zehn Jahren auf klimaneutrale Antriebstechniken umstellen. Das zu glauben, so Habeck, sei die gleiche "Bummeligkeit und Dösigkeit", die Deutschland in die Strukturkrise gebracht habe. Das seien die "gleichen Vögel", die jetzt lieber die Ölheizung optimieren wollten.
    Habeck bei letzter Debatte im Bundestag
    Grünen-Kanzlerkandidat Habeck wirft den politischen Konkurrenten im Bundestag mangelnden Einsatz für den Klimaschutz vor. Union, FDP und AfD würden die Klimaziele in Frage stellen.11.02.2025 | 20:25 min

    Nur Alice Weidel kommt aus dem Konzept

    Ex-Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kommt es offenbar auf Maximalabstand zu Scholz an und alles, was mit auch seiner einstigen Ampel-Regierung zu tun haben könnte. Der Kanzler, sagt Lindner, spiele die Rentner gegen die Hilfen für die Ukraine aus:

    Wer Wahlkampf gegen die Ukraine macht, hat jeden Führungsanspruch verloren.

    Christian Lindner, FDP

    Scholz würde er nach Willy Brandt als zweiten einen Nobelpreis in der SPD verleihen. Und zwar in Physik. Weil er offensichtlich das "Paralleluniversum" erfunden hätte. Und die Grünen? Hätten den Fortschritt blockiert, sagt Lindner: Alles, was die AfD groß gemacht habe, "kommt von Ihnen."
    Lindner bei der letzten Debatte im Bundestag
    FDP-Chef Lindner hat Kanzler Scholz und seinem Herausforderer Merz im Bundestag vorgeworfen, in der Wirtschaftspolitik planlos zu sein. Sehen Sie hier die komplette Rede.11.02.2025 | 18:59 min
    Nur eine kann ihre Botschaft nicht ganz in dem Duktus zu Ende bringen, wie sie es offensichtlich geplant hatte: AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel. Sie beginnt ihre Rede getragen, freundlich, viel langsamer als sonst, entwirft ihre Vision von einer "guten Regierung".
    Doch weit kommt sie nicht: Von den Zwischenrufen aus der Grünen-Fraktion fühlt sie sich gestört und fragt die Abgeordneten: "Was machen Sie hier eigentlich?" Und rät:

    Gehen Sie arbeiten. Suchen Sie sich einen Job.

    Alice Weidel, AfD

    Weidel bei letzter Debatte im Bundestag
    AfD-Kanzlerkandidatin Weidel wirft CDU-Chef Merz im Bundestag vor, er sei bereits gescheitert. Seine Politik könne er mit SPD und Grünen nicht durchsetzen. Die Rede im Video.11.02.2025 | 12:40 min

    "Und Tschüss": Loslassen ist nicht so einfach

    Es ist der Tag der Emotionen, der Zwischenrufe. Mehr als einmal muss Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zur Mäßigung ermahnen. Wenn es zu laut wird etwa: "Es ist besser, wenn wir uns gegenseitig zuhören." Oder Pfiffe aus der AfD-Fraktion kommen: "Wir sind hier nicht auf dem Fußballplatz."
    Und es ist der Tag des Abschiedes. Eine Reihe von Abgeordneten verlassen, oft nach vielen Jahren, den Bundestag. CDU-Politiker Hermann Gröhe zum Beispiel, der in der Regierung Angela Merkel einst Gesundheitsminister und Kanzleramtsminister war. Gröhe sitzt in der dritten Reihe der Unionsfraktion und scheint jede Minute noch einmal zu genießen. Er applaudiert und ruft dazwischen, loslassen geht noch nicht: "Peinlich" ruft er Habeck zu und Scholz ein "Und Tschüss".
    Denjenigen, die ihre letzte Rede halten, wünscht Bundestags-Vizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) "alles Gute" und "Gottes Segen". Und dann ist sie selbst dran: Die 45-Jährige verlässt den Bundestag, auch weil der Hass und die Diffamierung gegen ihre Familie zu groß geworden seien. Sie wünsche sich, sagte Magwas in einer kurzen Rede, dass die künftigen Abgeordneten sich der Verantwortung des Mandates bewusst sind.

    Dass sie Wächter unserer wertvollen Demokratie sind und sie eben nicht abschaffen wollen.

    Yvonne Magwas, CDU

    Minutenlang wird Magwas dann in der letzten Reihe des Parlamentes von vielen verabschiedet, umarmt. Es bildet sich eine Schlange - mit Abgeordneten aus vielen Fraktionen.

    Kühnerts Comeback für eine Mahnung an alle

    Der Bundestag ist eben auch ein Parlament, in dem es wie an jedem Arbeitsplatz auch kollegial zugehen kann. Als letzter Redner hat die SPD Kevin Kühnert auf die Liste gesetzt. Der frühere Generalsekretär, der aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten musste, bewirbt sich nicht mehr um ein Mandat. Nun darf er noch einmal, und er, der so oft frei und pointiert gesprochen hat, hat Zettel dabei, "weil mir jedes einzelne Wort sehr am Herzen liegt."
    Kevin Kühnert im Bundestag
    Der frühere SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert zeigte sich bei seiner letzten Rede im Bundestag besorgt, dass die Union im Kampf gegen Rechtsradikalismus nachlasse. Hier die Rede:11.02.2025 | 4:25 min
    Ihm stoße eine "Stilverschiebung" in der Debatte auf, sagt Kühnert. Die Parteien, auch seine eigene, dürften nicht dem Volk "nach dem Mund reden", sie dürften das Ringen mit rechten Positionen nicht aufgeben. Jeder Bundeskanzler müsse wissen, was im Volk gesprochen wird. Aber:

    Ein Bundeskanzler, dessen Mund nur wiedergibt, was sein Ohr zuvor gehört hat, der ist nicht mehr als eine Echokammer auf zwei Beinen.

    Kevin Kühnert, SPD

    Auch Kühnert bekommt am Ende viele Umarmungen. Dazu die Stenografen und Saalassistenten. Applaus im Stehen von allen Abgeordneten, dass sie vier Jahre lange alles mitgeschrieben, jedem ein Wasserglas gereicht und für Ordnung gesorgt haben.
    Noch ein paar Fotos und herzliches Händeschütteln zwischen denen, die sich Minuten vorher noch angegiftet haben: Merz und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.
    Ob und wer als was in dieses Parlament wieder zurückkommt, entscheidet sich am 23. Februar.

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    Quelle: dpa

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