Bundestag: Renate Künast verabschiedet sich nach 23 Jahren

    Abgeordnete verlässt Bundestag:Künast: "In eine andere Vertaktung kommen"

    Kristina Hofmann
    von Kristina Hofmann
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    Grünen-Politikerin Renate Künast gehört zu den Abgeordneten des Bundestages, die seit mehr als 20 Jahren im Parlament sitzen. Am Dienstag ist Schluss. Ein Abschied auf Raten.

    Renate Künast
    "Frau Kollegin": Es gab selten eine Rede von Renate Künast (Grüne), bei der sie nicht vom Bundestagspräsidium ermahnt werden musste. Meistens fand sie kein Ende.
    Quelle: dpa

    Dienstag, 11. Februar 2025, 12.30 Uhr, Sitzungsende. So banal kann es sein. Für eine Reihe von Abgeordneten wird dieser Tagesordnungspunkt bei der letzten Sitzung des Bundestages vor der Bundestagswahl nicht nur der letzte dieser Legislaturperiode sein. Sondern es ist tatsächlich das Ende. Sie kandidieren nicht mehr für die nächste Legislaturperiode, bewerben sich um kein Mandat mehr. Sie müssen nur noch ihr Büro ausräumen.
    23 Jahre war der Bundestag der Arbeitsplatz von Renate Künast. Doch so richtig nach Abschied ist ihr noch nicht.

    Renate Künast: Kämpfen ja, aber nicht mehr im Parlament

    Man braucht die Grünen-Politikerin eigentlich nur etwas zu fragen, dann ist sie schnell bei ihren Lieblingsthemen. Oder lenkt selbst das Gespräch darauf: die Zukunft der Demokratie, der Kampf gegen Hass im Netz, Ernährungssicherheit. Über all dies kann sie kraftvoll und ohne Punkt und Komma reden. Trotzdem will sie nicht mehr in einem Parlament dafür kämpfen.
    Renate Künast (Grüne)
    Will ich das noch? Grünen-Politikerin Renate Künast hat sich das gefragt. Und wird deswegen nicht mehr für den neuen Bundestag kandidieren. Sie wird Ende des Jahres 70 Jahre alt.11.02.2025 | 0:35 min
    "Ich werde Ende des Jahres 70", sagt Künast. Und irgendwann frage man sich, ob man dieses Leben als Abgeordnete noch will. Diese 70- bis 80-Stunden-Wochen, gleichzeitig immer zig Bälle in der Luft halten, bis Mitternacht tagen und am nächsten Morgen wieder präsent sein - "angezogen und nett lächelnd", sagt Künast. Lebenszeit einer fast 70-Jährigen, die sich inzwischen fragt:

    Wie will ich mit meiner Lebenszeit umgehen? Was ist Effizienz von Zeit?

    Renate Künast

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    Ein Diagramm von den Verteilungen der Parteien in den Umfragen. Im Hintergrund weht vor dem Bundestag eine Deutschland-Fahne

    Drei Jahre Ampel "emotional erschöpfend"

    Künast ist Grünen-Politikerin der ersten Stunde, saß im Berliner Abgeordnetenhaus, hat sich vergeblich für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin beworben, war Bundeslandwirtschaftsministerin in der ersten rot-grünen Bundesregierung, für die Grünen Fraktionschefin, Parteivorsitzende und 23 Jahre Bundestagsabgeordnete. Eine gewisse Stressresistenz kann man voraussetzen.
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    In zweieinhalb Wochen ist Bundestagswahl und viele deutsche Bürger sind noch unentschlossen. Eine mögliche Entscheidungshilfe, der Wahl-O-Mat, ist ab jetzt online.06.02.2025 | 1:29 min
    Trotzdem, sagt sie, waren die vergangenen drei Jahre bis zum Bruch der Ampel-Koalition mit das anstrengendste, was sie politisch erlebt hat.

    Die letzten drei Jahre waren physisch und psychisch anstrengend. Das war eine Art, die habe ich noch nie erlebt.

    Renate Künast

    Das D-Day-Papier, mit dem die FDP endgültig den Bruch der Koalition mit SPD und Grünen provozierte, wäre "nicht wesensfremd" gewesen. So taktisch seien die Liberalen nach ihrem Eindruck die ganze Zeit vorgegangen: Immer habe man ihnen hinterher rennen müssen, immer sei dies oder das verschoben worden, um dann öffentlich zu kritisieren: Die Grünen blockieren. "Ganz schwer", sagt Künast, sei es gewesen, "kreativ und Probleme lösend nach vorne zu gehen".
    "Das ist emotional erschöpfend", sagt Künast. Frustrierend auch. "Die Umgangsformen waren schlecht", fand sie, weil auch unter den Koalitionspartner "gezockt" worden sei.
    Renate Künast (Grüne)
    Grünen-Politikerin Renate Künast sagt, die Jahre der Ampel-Regierung waren mit die anstrengendsten ihrer politischen Laufbahn. "Emotional erschöpfend" seien sie gewesen.11.02.2025 | 0:37 min

    Social Media - alle nicht richtig aufgestellt?

    Trotzdem wird Künast einiges vermissen. Dass sie heute schon weiß, was am Abend die Fernsehsender oder morgen die Zeitungen berichten. Dass sie mitwirken kann, etwas zu verändern. "Da werde ich sicher ein Defizit empfinden oder in ein Loch fallen. Aber das weiß ich glücklicherweise vorher."
    An einigen Themen will sie ohnehin dranbleiben. Wie keine andere Politikerin hat sich Künast gegen Beleidigungen und Desinformation in den Sozialen Netzwerken gewehrt und Facebook bis zum Bundesverfassungsgericht verklagt. Die Macht von Mark Zuckerberg, Elon Musk, des Algorithmus und möglichen Manipulationen sieht sie als große Gefahr für die Demokratie. Eine Gefahr, auf die Politik immer noch zu schlecht vorbereitet ist.
    Wie der Wahlprozess in Deutschland verläuft, hängt nicht nur von der Technik ab. Auch Desinformation über Soziale Medien könnte bei der kommenden Bundestagswahl eine Rolle spielen.
    Wie der Wahlprozess in Deutschland verläuft, hängt nicht nur von der Technik ab. Auch Desinformation über Soziale Medien könnte bei der kommenden Bundestagswahl eine Rolle spielen.04.01.2025 | 1:59 min
    Social Media, sagt Künast, sei schon lange nicht mehr der Ort, "wo Menschen mit flachen Hierarchien miteinander verbunden werden, sondern es ist ein Ort der Desinformation und des Hasses". Das Netz werde missbraucht, und alle drei Gewalten des Staates und die Medien seien eingekreist. "Wir sind vielleicht alle miteinander nicht hinreichend aufgestellt." Keiner könne das Problem alleine lösen, dafür brauche es "eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung".

    Abschied vom Bundestag: Wer noch geht

    Peter Ramsauer
    Helge Braun am 05.12.2024
    Hermann Gröhe (CDU)
    Petra Pau (Linke)
     Yvonne Magwas (CDU), stellvertretende Bundestagspräsidentin, leitet die 200. Sitzung des Deutschen Bundestages.
    Tessa Ganserer (Bündnis 90/Die Grünen)
    Volker Wissing (parteilos)
    Gesine Lötzsch
    Albrecht Glaser (AfD)
    Niels Annen (SPD)
    Michael Roth (SPD)
    Sven-Christian Kindler

    Peter Ramsauer

    Peter Ramsauer (CSU) ist seit 1990 Abgeordneter im Bundestag, der Dienstälteste im Parlament. Der 71-Jährige war Bundesverkehrsminister und sagt: "Es ist alles erledigt."

    Quelle: ddp


    Künast besorgt über Absolutheit der Meinungen

    Wie lässt sich Politik und die verschiedenen Interessen, die dahinter stehen, noch erklären, wenn Schuld immer den anderen zugeschoben wird? Wenn sich die Zeit für das Erklären nicht mehr genommen werde, sondern es statt gemeinsam Lösungen zu suchen nur noch ums Emotionalisieren geht, weil das Klicks bringt? Es ist diese Absolutheit der Meinungen, das Gerede von Remigration und das Absprechen von der gleichen Würde aller Menschen, was sie besorgt.

    Es geht um die Frage, wie geht eigentlich noch Politik in Deutschland und Europa? Wird es immer populistischer, immer aggressiver?

    Renate Künast

    Oder ließen sich zusammen Wege finden, die Politik auch solide zu erklären, fragt sich Künast. "Egal ob wir grün oder konservativ sind."
    Renate Künast (Grüne)
    Renate Künast (Grüne) saß mehr als 20 Jahre im Bundestag, war Ministerin der ersten rot-grünen Bundesregierung. Sie fragt sich: Wie kann Politik besser erklärt werden?11.02.2025 | 0:20 min

    Wahlaussichten? "Man muss tapfer sein"

    Trotz aller Kritik: Auf dem Musk-Kanal X will Künast erst einmal bleiben, selbst wenn von ihr in der Polit-Rente nicht mehr ständig Kommentare gefordert werden. Sie will sich selbst mit einem Zettel ermahnen, nur noch einige Minuten am Tag reinzuschauen. Vielleicht ist das die größte Schwierigkeit: abkühlen, runterkommen, sich raushalten. "In eine andere Vertaktung kommen", nennt das Künast.
    Renate Künast (Grüne)
    Renate Künast (Grüne) hat wie kaum eine andere Politikerin gegen Hass und Desinformation in den sozialen Netzwerken gekämpft. Jetzt verlässt sie den Bundestag.11.02.2025 | 0:44 min
    Ex-Kanzlerin Angela Merkel fuhr dafür wochenlang an die Ostsee. Künast will in die Toskana, im Sommer an die Nordsee. Mal zuhause bleiben, in ein Museum oder ein Konzert gehen. Und Freunde einladen und sie bekochen. Vorher muss aber noch ihr Bundestagsbüro aufgeräumt werden. Und Wahlkampf, natürlich. Jedenfalls ein paar Termine, die ihr selbst Spaß machen.
    Ob für die Grünen noch etwas geht? "Alles ist möglich", sagt Künast. Zu oft sei ihre Partei schon abgeschrieben gewesen. "Man muss tapfer sein, bis zum 23."

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    Quelle: dpa

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