Stoppt das Bundesverfassungsgericht die Sondersitzungen?

    FAQ

    Bundestag berät über Finanzpaket:Stoppt Karlsruhe die Sondersitzungen?

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    Union und SPD wollen für ihr Finanzpaket das Grundgesetz noch im alten Bundestag ändern. AfD und Linke sind deshalb vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Die Hintergründe.

    Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
    Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über mehrere Eilanträge zu den Sondersitzungen im Bundestag (Symbolbild)
    Quelle: dpa

    Die Pläne von CDU, CSU und SPD, mit zusätzlichen Schulden ein milliardenschweres Verteidigungs- und Infrastrukturpaket zu finanzieren, hängen in der Schwebe. Ob sich im Bundestag eine Mehrheit findet, ist offen.
    Aber auch juristisch könnte das Vorhaben von höchster Stelle noch gestoppt werden. Beim Bundesverfassungsgericht sind mehrere Anträge eingegangen, etwa von AfD und Linken. Sie richten sich unter anderem gegen die an diesem Donnerstag geplante erste von zwei Sondersitzungen des Parlaments. Laut Gericht ist eine Entscheidung vor dem 18. März zu erwarten. An dem Tag soll die zweite Sondersitzung stattfinden.
    PK zu Sondierungsgesprächen in Berlin
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    Worum geht es?

    Bei ihren Sondierungen für eine mögliche künftige Koalition hatten Union und SPD ein schuldenfinanziertes Sondervermögen für Infrastruktur im Umfang von 500 Milliarden Euro sowie eine Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben vereinbart. Die Pläne erfordern Grundgesetzänderungen, für die in Bundestag und Bundesrat Zwei-Drittel-Mehrheiten benötigt werden.
    Beides wollen Union und SPD bis zum 25. März noch vom alten Bundestag beschließen lassen, in dem sie zusammen mit den Grünen die für Verfassungsänderungen notwendige Mehrheit haben. Im neuen Bundestag bräuchten sie dazu AfD (Zusammenarbeit ausgeschlossen) oder Linke (Zusammenarbeit extrem schwierig).
    ichael Kretschmer (CDU, l), Ministerpräsident von Sachsen, und Stephan Weil (SPD, M), Ministerpräsident von Niedersachsen, sprechen auf der Abschlusspressekonferenz im Bode-Museum.
    Morgen ist eine Sondersitzung des Bundestags geplant, in dem es um das Milliardenpaket für Infrastruktur und Verteidigung von Union und SPD geht.12.03.2025 | 1:31 min
    Auf das Verlangen von Union- und SPD-Fraktion hatte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) deshalb zu Sondersitzungen des alten Parlaments für diesen Donnerstag und kommenden Dienstag eingeladen.

    Wer klagt dagegen?

    Beim Bundesverfassungsgericht sind mehrere Klagen gegen diese geplanten Sondersitzungen anhängig. Sowohl die AfD-Fraktion als auch die künftige Linksfraktion haben sogenannte Organstreitverfahren beantragt und wollen mit Eilanträgen erreichen, dass die Sondersitzungen kurzfristig noch abgesagt werden.
    Auch die fraktionslose Bundestagsabgeordnete Joana Cotar (ehemals AfD) sowie fünf AfD-Abgeordnete haben entsprechende Anträge gestellt. Dem Gericht zufolge liegt zudem eine Verfassungsbeschwerde in der Sache vor. Wer diese eingereicht hat, blieb zunächst unklar.
    Der deutsche Bundestag mit dem deutschen Bundeswappen
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    Wie argumentiert die AfD?

    In ihrem 85 Seiten langen Antrag an das Gericht argumentieren die Anwälte der AfD-Fraktion, dass die Einberufung des alten Bundestags schon formal nichtig sei. Nach Artikel 39 Grundgesetz können Bundestagspräsidenten das Parlament zu Sondersitzungen einberufen, wenn ein Drittel der Abgeordneten dies verlangt. Die Bundestagspräsidentin hatte das auf Verlangen der Fraktionen von Union und SPD getan, die zusammen mehr als ein Drittel der Abgeordneten stellen.
    Die AfD argumentiert, dass Fraktionen an sich aber gar nicht befugt seien, ein Verlangen auf Einberufung des Bundestags nach Artikel 39 Grundgesetz zu stellen. Es müssten stattdessen konkrete, handschriftlich unterzeichnete Verlangen von mindestens einem Drittel aller Abgeordneten vorliegen.
    Prof. Kyrill-Alexander Schwarz | Verfassungsrechtler Universität Würzburg
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    Zudem hat der alte Bundestag nach Ansicht der AfD nicht mehr die demokratische Legitimation, um über so wichtige Dinge wie Verfassungsänderungen zu entscheiden, wenn ein neues Parlament mit anderen Mehrheiten längst gewählt ist. Jetzt noch den alten Bundestag einzuberufen, verletze die Rechte der neuen Abgeordneten.

    Wie argumentiert die Linke?

    Eine Verletzung der Rechte neuer Abgeordneter sieht auch die Linke. Sie hat am Mittwoch eine zweite Klage eingereicht. Darin beklagen mehrere Linken-Abgeordnete eine "verfassungswidrige Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens für das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes". Es blieben nur zwei Werktage, um die umfangreichen Entwürfe zu prüfen, sagte die Parteivorsitzende Ines Schwerdtner. "Das ist angesichts des großen Volumens des Finanzpakets nun überhaupt nicht mehr angemessen."
    Mehrere Abgeordnete hatten sich bereits am Montag in einem Eilantrag an Karlsruhe gewandt, um die geplanten Sondersitzungen des Parlaments mit alten Mehrheitsverhältnissen zu verhindern. 
    Sie argumentierten vereinfacht, sobald der Bundeswahlausschuss am Freitag das Ergebnis der Bundestagswahl offiziell feststelle, müsse sofort der neue Bundestag einberufen werden, wenn wirklich auf die Schnelle etwas zu entscheiden sei. Sondersitzungen des alten Parlaments seien dann nicht mehr zulässig.
    Die Linke ist im alten Bundestag mit nur 28 Mandaten vertreten, im neuen hingegen mit 64. Künftig werden ihre Stimmen - oder jene der AfD - für Verfassungsänderungen gebraucht. Ihr politisches Ziel ist, mitzuentscheiden und die Schuldenbremse ganz zu kippen oder zumindest umfassend zu reformieren. So soll dann auch mehr Geld in Infrastruktur fließen - das nach dem Wunsch der Linken Wohnungsbau, Gesundheitseinrichtungen und Schulen zugutekommen soll. Nur Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse auszunehmen, lehnt die Linke ab.

    Was sagen Experten?

    Darf der alte Bundestag derart weitreichende Entscheidungen treffen? Experten sind sich uneins. Der Berliner Staatsrechtler Christian Pestalozza sagt ZDFheute, der Bundestag könne sich nicht "aus dem Staub machen". Das Parlament dürfe nach wie vor Entscheidungen treffen:

    Solange du existierst, bist du in full power. Das ist eine moralische Verpflichtung.

    Christian Pestalozza, Staatsrechtler

    Kyrill-Alexander Schwarz widerspricht. Es gehe um einen weitreichenden Beschluss, der eine Bindungswirkung auch für die Zukunft habe. Die Entscheidungen würden nachfolgende Generationen massiv belasten und wären deswegen durch den neuen Bundestag deutlich stärker legitimiert.

    Es wäre eine Art verfassungsrechtlicher Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem neuen Bundestag, wenn der alte Bundestag sich hier zurückhält.

    Kyrill-Alexander Schwarz, Universität Würzburg

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    Quelle: dpa

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