Bundestagswahl: Wie die Jugend ihre Wahlentscheidung trifft

    Interview

    Jugendforscher Klaus Hurrelmann:"Junge Leute haben keine Parteibindung"

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    Die Jugend habe das Gefühl, in einer nicht berechenbaren Welt zu leben, sagt Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Was das für die Parteien auch zur Bundestagswahl bedeutet.

    Jugendliche
    Forschende stellen fest: Parteibindung spielt für die junge Generation eine kleinere Rolle, während das Interesse an Politik weiterhin steigt.
    Quelle: dpa

    ZDFheute: Hat die Politik junge Menschen genug im Blick?
    Prof. Klaus Hurrelmann: Die Parteien in Deutschland haben die jungen Menschen sehr vernachlässigt aus meiner Perspektive. Sie nehmen ihre Themen nicht systematisch auf und sie sprechen auch nicht kommunikativ ihre Sprache. Sie haben nicht den digitalen Kanal im Vordergrund, der für die jungen Leute aber das alles Entscheidende ist.
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    ZDFheute: Was sind denn die Themen der jungen Leute, die die Parteien nicht auf dem Schirm haben?
    Hurrelmann: Die jungen Leute sind grundsätzlich sehr themenorientiert, das kann man den Parteien eigentlich immer nur wieder sagen. Sie haben Probleme mit der wirtschaftlichen Lage, sie interessieren sich seit einiger Zeit - das ist neu - auch für unkontrollierte Migration. Sie machen sich Gedanken über den Krieg, und das Klima spielt nach wie vor eine große Rolle für sie.

    Sie suchen bei den Parteien danach, welche der Parteien spricht mein Thema an? Die wähle ich, das ist ein sehr, sehr demokratischer, ein urdemokratischer Mechanismus.

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    ZDFheute: Was bedeutet das für das Wahlverhalten der jungen Menschen?
    Hurrelmann: Bei den Umfragen bei denen, die noch nicht wählen dürfen, da wissen wir, dass diese Themen für sie im Vordergrund stehen. Und wenn eine Partei ein Thema aufgreift, dann hat sie eine Chance. Also wenn die AfD das Thema wirtschaftliche Probleme, Krieg aufgreift, dann fühlen sich viele junge Leute angesprochen. Und das gilt analog auch für die CDU, CSU und das gilt für alle anderen Parteien.
    Die Linke fällt gerade auf. Sie gewinnt bei jungen Leuten an Aufmerksamkeit. Sie hat die schwierige Wirtschaftslage, die Inflation und den Wohnungsmarkt thematisiert. Ganz, ganz eindeutig Themen, die junge Leute sehr beschäftigen. Und damit hat sie in den letzten Wochen sehr gepunktet.
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    ZDFheute: Wo informieren sich die jungen Leute?
    Hurrelmann: Bei den jungen Leuten unter 25 kann man sagen, dass sie fast nur digitale Kanäle nutzen. Das sind überwiegend selbstbestimmte Social-Media-Plattformen, über die holen sich junge Leute ihre Informationen und da müssen die Parteien präsent sein. Man muss ganz kritisch sehen, das hat die AfD von Anfang an gemacht. Deswegen hatte sie früh einen guten Zugang. Die Linke hat da inzwischen sehr stark aufgeholt, aber die anderen Parteien liegen noch immer sehr weit zurück.

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    ZDFheute: In was für einer Welt leben die jungen Menschen?
    Hurrelmann: Die jungen Leute haben völlig zu Recht das Gefühl, in einer Gesellschaft zu leben, wo nichts mehr richtig kalkulierbar ist. Man weiß nicht, wie es weitergeht. Die Zukunft ist nicht überschaubar, nicht berechenbar. Also eine durchaus krisengeschüttelte junge Generation. Die sucht nach Sicherheit, sie möchte ein wenig Gewissheit haben, wie es weitergeht. Und jede Partei, die das anbietet, kann punkten. Die AfD bietet sehr einfache Antworten an, kann damit im Moment punkten.

    Mag sein, dass das für die anderen Parteien ein Problem ist, aber sie müssen dann auch versuchen, klare und überschaubare Antworten zu geben in dieser Zeit der Unsicherheit.

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    ZDFheute: Gibt es noch die klassische Wählerbindung an eine Partei?
    Hurrelmann: Junge Leute haben keine Parteibindung. Man kann die Studien, die wir haben, so interpretieren, dass die Hälfte von ihnen so wählt wie ihre Eltern, aber es sind allenfalls noch die Hälfte.

    Die meisten wählen spontan nach ihren eigenen Maßstäben. Sie schauen, wofür steht denn eine Partei.

    Und sie wählen das ganze Spektrum. Sie wählen nicht taktisch, sind nicht festgelegt. Und entsprechend müssen die Parteien, die die Erstwählerinnen und Erstwähler ansprechen, darauf auch sehr achten, dass sie verständlich sind und dass sie die jungen Leute auch überhaupt erst einmal erreichen.
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    ZDFheute: Wie politisch ist denn diese Generation?
    Hurrelmann: Wir haben eine sehr politische junge Generation: weit links, weit rechts. Sehr unterschiedliche Positionen fallen auf. Das Interesse an Politik und die Auseinandersetzung mit politischen Themen, die ist im Moment sehr, sehr hoch. Ich würde sogar sagen ungewöhnlich hoch, das hatten wir lange nicht.
    Das Interview führte Henriette de Maizière, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.

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    Quelle: dpa

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