Unions-Migrationspläne: Der Drahtseilakt des Friedrich Merz
Analyse
Vorstoß zur Migrationspolitik:Der Drahtseilakt des Friedrich Merz
von Wulf Schmiese
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Die Spannung vor der Sitzung im Bundestag ist groß: Werden Union und AfD in Sachen Migration gemeinsame Sache machen? CDU-Chef Merz sagt, es sei ihm egal, wer den Weg mit ihm gehe.
Die Union möchte Anträge zur Migrationspolitik im Bundestag einbringen – und einen Gesetzentwurf am Freitag. Einschätzungen von Wulf Schmiese. 28.01.2025 | 1:10 min
Friedrich Merz steht jetzt hoch oben auf dem Seil. Jeder schaut auf ihn. Seine Union hofft und bangt. Die einen warnen: Setzt er die nächsten Schritte zu weit rechts, kann er stürzen. Die anderen halten dagegen: Nur, wenn er sich zu sehr auf die linke Seite konzentriert, wird´s wackelig. Öffentliche Kritik wagt aber nun niemand mehr von CDU und CSU so kurz vor der Bundestagswahl. Merz muss weiterbalancieren auf dem Seil, das er sich seit einer Woche mit großem Eifer selbst gespannt hat.
Zuvor war schon gelästert worden, dass der eigentlich doch so energische Merz seit Wochen viel zu ruhig dahergekommen sei, als wolle er im Schlafwagen ins Kanzleramt rollen. Dass er sich mit nichts lautem hervortraue, was das Vorurteil seiner Unbeherrschtheit bestätigen und ihn Zustimmung kosten könnte.
Der Bundestag stimmt über zwei Unionsanträge zur Verschärfung der Migrationspolitik ab. Außerdem wird Kanzler Scholz eine Regierungserklärung abgeben.29.01.2025 | 0:29 min
Wendepunkt Aschaffenburg
Die Morde in Aschaffenburg am Mittwoch, den 22. Januar, änderten alles. "Bei einer Gewalttat in einem Park in Aschaffenburg sind nach ersten Erkenntnissen mehrere Menschen mutmaßlich durch eine Stichwaffe schwer verletzt worden", meldete die dpa um 12:34 Uhr. Exakt vier Stunden später postete Merz persönlich auf X seine Erschütterung über die "Messerattacke auf eine Kindergruppe".
Post von Merz
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Die Migrationsanträge der Union sind nicht bindend. Warum die Aufregung dennoch so groß ist, erklärt ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Nicole Diekmann.29.01.2025 | 1:03 min
Inzwischen war bekannt geworden, dass ein psychisch kranker und illegal in Deutschland lebender Afghane einen zweijährigen Jungen und einen Erwachsenen niedergestochen und weitere Menschen schwer verletzt hatte. Merz schloss sein Posting mit einer Ankündigung: "So kann es nicht weitergehen. Wir müssen und werden Recht und Ordnung wiederherstellen."
Im Jahr 2024 sind 22 Prozent mehr Menschen aus Deutschland abgeschoben worden als noch im Jahr zuvor, die Zahl der Asylgesuche ging im Vergleich zu 2023 um ein Drittel zurück.28.01.2025 | 1:23 min
Merz mit Migrations-Wahlkampf
Seitdem führt Merz, was er nicht führen wollte: einen Migrations-Wahlkampf. Noch am Abend der Morde forderte Merz auf dem "Jahresempfang der Wirtschaft" in Mainz "politisch klare Antworten" zu Abschiebungen. Tags drauf, am Donnerstag, gab er diese selbst. Er stellte "fünf nicht verhandelbare Punkte" vor. Er würde als Bundeskanzler ein "faktisches Einreiseverbot" für illegale Einwanderer erlassen - egal wer mit ihm regiert.
Laut Thorsten Frei (CDU) kann die "Integration nicht mehr Schritt" mit dem Ausmaß der Migration halten.28.01.2025 | 1:30 min
In der Manier von US-Präsident Donald Trump kündigte er für den ersten Tag seiner Amtszeit eine entsprechende Anweisung an. Denn: "Das Maß ist endgültig voll. Wir stehen vor einem Scherbenhaufen." Ihm sei es "völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht. Ich sage nur, ich gehe keine anderen." Wer ihn mit ihm gehen wolle, müsse sich danach richten.
Kompromisse sind zu diesen Themen nicht möglich.
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Friedrich Merz, CDU-Kanzlerkandidat
Am späten Abend noch wurde das CDU-Präsidium vom Parteivorsitzenden Merz zu einer Konferenz zusammengeschaltet. Da war der Chef in Rage und konkretisierte seine allgemeine Ankündigung vom Morgen: Immer nur etwas fordern, immer wieder auf Regierungserklärungen des Kanzlers antworten, wie schon nach den Bluttaten von Mannheim, Solingen, Magdeburg - das reiche nicht mehr. Er wolle im Bundestag Anträge zur Migrationspolitik einbringen, "unabhängig davon, wer ihnen zustimmt".
Welche Partei führt in den Umfragen zur Bundestagswahl? Wen hätten die Deutschen am liebsten als Kanzler? Welche Koalitionen wären möglich? Die wichtigsten Zahlen im Überblick.
von Robert Meyer
Merz geht bei Migrationsdebatte "all-in"
Den teils verhaltenen Partei-Oberen sagte er auf ihre Bildschirme: "Ich gehe all-in." Er wolle im Bundestag den Asyl-Showdown. Und wenn es am Ende die AfD wäre, die den CDU-Anträgen zustimme - egal.
Ich gucke nicht rechts und nicht links, ich gucke nur geradeaus.
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Friedrich Merz, CDU-Kanzlerkandidat
Die Überrumpelten widersprachen nicht.
CDU-Chef Merz will die Migrationspolitik verschärfen, "unabhängig davon, wer zustimmt". Das sei mit EU-Recht jedoch gar nicht vereinbar, so Politikwissenschaftlerin Römmele.24.01.2025 | 15:42 min
Merz agierte, wie einst sein Freund Roland Koch. Der galt 1999 ohne Regierungserfahrung als chancenloser Kandidat, um Ministerpräsident vom sattroten Hessen werden zu können. In seiner Not ersann er eine Kampagne, die weite Teile der CDU-Granden empört und abgestoßen hatte: eine Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Die damalige CDU-Generalsekretärin Angela Merkel tobte - erst als Koch gewann, hatte er ihren Respekt.
In den Chatgruppen der CDU herrschte nach Merz´ forschem Auftritt im Präsidium eher frühe Merkel-Stimmung. Es könne echt schiefgehen, wurde gewarnt, AfD-Stimmen in Kauf zu nehmen. Jemand schrieb von "politischem Selbstmord". Viele drängten darauf, lieber SPD, Grüne und FDP einzubinden.
NRW-Innenminister Reul (CDU) fordert die Parteien der Mitte zur Zusammenarbeit in der Migrationspolitik auf. Die bürgerlichen Kräfte müssten beweisen, "die AfD brauchen wir nicht".27.01.2025 | 4:26 min
Merz reagierte darauf, versprach es dem erweiterten Fraktionsvorstand, der in einer Schaltkonferenz am Freitag einberufen worden war - wieder spät abends. Denn tagsüber ist für Sitzungen keine Zeit, weil alle um ihre Wahlkreise kämpfen. Da allerdings spürten sie Zustimmung. Eine Umfrage besänftigte die Kritiker zudem: Zweidrittel der Deutschen hielten Merz´ Vorstoß für richtig. Zugleich aber lehnt eine Riesenmehrheit jedwede Zusammenarbeit von CDU und CSU mit der AfD ab.
AfD nimmt Vorwürfe hin
Am Samstag wurden zwei Entschließungsanträge dann nur an SPD, Grüne und FDP gesendet. AfD, BSW und Linke bekamen deren Texte vorab nicht zu sehen. Die Mitte-Parteien wurden aufgefordert, mitzustimmen. Für die AfD wiederum hatte "das Team Merz", wie es heißt, in den Fünf-Punkte-Antrag einen Anti-Block hineingeschrieben: Die AfD nutze Probleme der Migration dazu, um, "Fremdenfeindlichkeit zu schüren". Sie "gefährdet Deutschlands Stabilität, Sicherheit und Wohlstand". Diese Formulierungen sollten es der AfD unmöglich machen, für den Antrag zu stimmen.
Wolle man Merz' Pläne umsetzen, müsse Deutschland aus der EU austreten, so Jurist Hruschka. Nach Aschaffenburg drängt Merz auf eine deutliche Verschärfung der Migrationspolitik. 24.01.2025 | 4:20 min
Die AfD schien das tatsächlich zu verunsichern. Doch in ihrer Gier, mit der Union stimmen zu können, rang sie sich dazu durch, die Schmäh-Sätze zu schlucken. Und postete umgehend Rache. Die AfD wolle einen Gesetzentwurf, den die CDU/CSU schon einmal eingebracht hatte, nun wieder einbringen. So etwas geht im Bundestag. Mit diesem "Zustrom-Begrenzungs-Gesetz" hatte die Union Anfang November das Aufenthaltsgesetz ändern wollen. Aber weil die Ampel an dem Tag zerbrach, kam es nicht mehr zur Abstimmung.
AfD drängt CDU mit eigenem Unions-Entwurf in die Enge
Um nicht gegen ein selbsterarbeitetes Gesetz stimmen zu müssen, nur weil es die AfD eingebracht hat, sah sich die Union gezwungen, den Gesetzentwurf selbst wieder auf die Tagesordnung zu setzen.
Dieses Gesetz kann nun die eigentliche Bewährungsprobe für Merz werden, obwohl gar nichts so scharf ist wie sein Fünf-Punkte-Antrag. Zurückweisungen an der Grenze etwa, davon steht gar nichts in dem Text, da er lange vor den Messermorden von Aschaffenburg geschrieben worden ist.
Die Union will deutliche Verschärfungen im Migrationsrecht durchsetzen. Dafür nimmt sie in Kauf, dass CDU-Vorschläge durch die Zustimmung der AFD eine Mehrheit finden.28.01.2025 | 2:47 min
Mehrheit könnte an Unions-Abgeordneten scheitern
Am Freitag soll darüber abgestimmt werden. Zustimmen wollen die FDP, das BSW und natürlich auch die AfD. Doch eine Mehrheit könnte ausgerechnet an der Union scheitern. Denn dort gibt es eine gute Handvoll Abgeordnete, die zwar für das Gesetz sind wie sie auch für die - übrigens rein symbolischen - Entschließungsanträge vom Mittwoch sind.