Corona-Pandemie: Medien mit Fokus zu stark auf akutem Problem

    Interview

    Medien in der Corona-Pandemie:"Fokus zu stark auf akutem Problem"

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    Der Kommunikationswissenschaftler Marcus Maurer kritisiert einen verengten Blick der Medien während der Corona-Zeit. Er erklärt, welche Lehren aus der Krise gezogen werden können.

    Ein Piktogramm mit dem Hinweis auf Corona-Maskenpflicht wird entfernt.
    Während der Pandemie rückten akute Probleme der gesundheitlichen Versorgung in den Vordergrund. Ein Wissenschaftler blickt im Nachgang auf Fehler und Versäumnisse in der Berichterstattung.
    Quelle: dpa

    ZDFheute: Die Corona-Zeit erscheint vielen weit weg, anderen ist das Thema aber weiterhin sehr präsent. Sie haben die Arbeit der Medien während der Corona-Pandemie untersucht. Wie war die Qualität der Berichterstattung?
    Marcus Maurer: Die Nachrichtenmedien in Deutschland traten während der Pandemie weitgehend als "Team Vorsicht" auf, indem sie vehement vor dem Virus warnten und harte Maßnahmen forderten. Überraschend dabei: Sie kritisierten die Regierung oft für zu zögerliches Handeln.
    Die Medien waren insofern einseitig, als dass sie sich ziemlich auf die Seite derjenigen gestellt haben, die harte Maßnahmen wollten, um die Pandemie möglichst schnell zu beenden. Das kann man in so einer Pandemie aber natürlich auch angemessen finden.

    Portrait-Foto von Marcus Maurer
    Quelle: Petra A. Killick

    … ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Kommunikation am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Unter dem Titel "Einseitig, unkritisch, regierungsnah?" veröffentlichte er gemeinsam mit Carsten Reinemann und Simon Kruschinski eine empirische Studie zur Qualität der journalistischen Berichterstattung über die Corona-Pandemie.

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    ZDFheute: In einer empirischen Studie kamen Sie zu dem Ergebnis, dass der mediale Fokus stark auf Regierungspolitikern und mit einigem Abstand auf Ärzten und Wissenschaftlern lag, während Oppositionspolitiker, Patienten und Corona-Skeptiker "kaum vorkamen".
    Maurer: Es war auffällig, dass die Oppositionsparteien noch seltener zu Wort gekommen sind als in "normalen" Zeiten. Dagegen dominierten vor allem die Unionsparteien den medialen Diskurs. Auf der Expertenseite hat der SPD-Politiker Karl Lauterbach nach einer gewissen Zeit den Virologen Christian Drosten als zentrale Figur abgelöst.

    Lauterbach, damals noch nicht Gesundheitsminister, wurde im zweiten Pandemiejahr zur zentralen Stimme, weil seine Positionen perfekt zur medialen Warnfunktion passten.

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    ZDFheute: Gab es eine ausgewogene Berichterstattung über die verschiedenen Perspektiven zu Themen wie Lockdowns und Impfungen?
    Maurer: Nein, relativ selten. Der Fokus lag auf dem akuten Problem. Negative Langzeiteffekte wie soziale Isolation, Bildungslücken bei Kindern oder psychische Belastungen gerieten aus dem Blickfeld. Sowohl in der Politik als auch in den Medien fehlte häufig diese langfristige Perspektive. Ein typisches menschliches Verhalten, das zeigt, wie oft die Bewältigung unmittelbarer Probleme das Nachdenken über künftige Konsequenzen verdrängt.
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    ZDFheute: Ein Plädoyer für mehr Vielfalt in der Berichterstattung?
    Maurer: Ja, anstatt hauptsächlich Virologen zu konsultieren, hätte man auch Psychologen oder Bildungsforscher viel stärker einbeziehen sollen, um die Auswirkungen auf Gesellschaft, Kinder und mentale Gesundheit besser zu verstehen. Diese Kritik zeigt, wie wichtig ein breiteres Expertenfeld in Krisenzeiten ist.
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    ZDFheute: Welche Rolle spielte die mediale Berichterstattung bei der Bildung von Vertrauen - oder auch Misstrauen - in staatliche Maßnahmen und wissenschaftliche Institutionen?
    Maurer: Medien spielen in solchen Situationen eine zentrale Rolle, weil Menschen in Krisenzeiten verstärkt auf diese Quellen zurückgreifen. In der Bevölkerung herrschte zu Beginn der Pandemie große Angst und die Zustimmung zu harten Maßnahmen war nahezu einheitlich hoch. Mit der Zeit entstanden jedoch zwei Lager: Die einen wollten weiterhin strikte Maßnahmen, die anderen forderten ein Ende der Einschränkungen und die Rückkehr zur Normalität.

    Fünf Jahre nach der bisher verheerendsten Pandemie des 21. Jahrhunderts geht ein ZDF-Themenschwerpunkt der Frage nach, was aus der Corona-Pandemie für Lehren gezogen wurden und werden. In der Zeit vom 8. bis zum 21. März 2025 beschäftigen sich sowohl aktuelle Magazinsendungen als auch Doku-Formate mit dem Thema.

    Wir bündeln alle Inhalte auf unserer Themenseite zum Coronavirus.

    ZDFheute: Wie hat sich das Medienvertrauen während der Pandemie entwickelt?
    Maurer: Die Glaubwürdigkeit der Medien ist zu Beginn der Pandemie stark gestiegen.

    In ihrem Verlauf ließ das Vertrauen in die Medien und die Corona-Maßnahmen nach, weil viele Menschen ihren eigenen Standpunkt nicht mehr wiederfanden.

    Der anfängliche Vertrauensgewinn erwies sich als kurzlebig, Zweifel an der Angemessenheit der strikten Maßnahmen wuchsen.
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    ZDFheute: Die Universität Mainz untersucht das Vertrauen in die Massenmedien kontinuierlich. Wie ist es darum derzeit bestellt?
    Maurer: Die Lage ist nicht so dramatisch, wie es manchmal erscheint. Unsere Daten zeigen: Das Vertrauen in die Medien, insbesondere in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ist in Deutschland trotz leichtem Rückgang weiterhin hoch - besonders im internationalen Vergleich.
    Eine kleine, aber wachsende Gruppe, die inzwischen zehn bis 15 Prozent ausmacht, vertraut den Medien allerdings überhaupt nicht mehr und bleibt für diese praktisch unerreichbar. Vor der Pandemie lag dieser Anteil laut der Mainzer Studie noch bei rund fünf Prozent. Diese Entwicklung ist bemerkenswert und erfordert Aufmerksamkeit, weil sie die Medienlandschaft nachhaltig beeinflussen könnte.
    Das Interview führte Marcel Burkhardt.

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