Kitas werben um Kinder: Sinkende Geburtenraten im Osten
Geburtenknick in Ostdeutschland:Wo Kitas um Kinder werben
von Daniela Sonntag
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In vielen ostdeutschen Kitas herrscht Mangel - an Kindern. Die traditionell gut ausgebauten Kitastrukturen bekommen durch einen Geburtenknick Probleme - wie etwa in Thüringen.
Wegen der niedrigen Geburtenrate und wenig Zuwanderung stehen im Osten Kitas teilweise leer. Die Gemeinde Bad Tabarz will jetzt mit einem Kinder- und Jugendcampus gezielt junge Familien anlocken.08.02.2025 | 4:42 min
"Wir haben Plätze frei"- mit solchen Flyern wirbt die Kita "Pinoccio" in Erfurt Waltersleben um Eltern und deren Nachwuchs. Rund 35 Kinder könnten in dem Haus betreut werden, eine kleine, familiäre Einrichtung, mit besten Bedingungen. Doch derzeit sind nur zehn Kinder hier angemeldet.
Den Gruppenraum in der oberen Etage, sagt Susanne Weber-Ludwig vom Träger Thepra e.V., nutzen sie erst mal gar nicht: "Energiesparen, wir hätten hier theoretisch einen Ausweichraum, aber wir brauchen ihn nicht für die wenigen Kinder."
Noch buttert die Stadt Erfurt dazu, indem sie die Betreuungsstunden aufstockt. Dadurch können die drei Mitarbeiterinnen gehalten werden, die derzeit in der Kita arbeiten. Aber im Sommer kommen noch zwei der "Pinoccio"-Kinder in die Schule. "Das ist natürlich betriebswirtschaftlich und vom Betreuungsschlüssel her eigentlich das K.-o.-Kriterium", sagt Susanne Weber-Ludwig.
Warum es so wenige Kinder gibt
Dabei liegt es nicht an der Kita, dass hier keine Kinder angemeldet werden. Es gibt schlicht zu wenig Nachwuchs im Kindergartenalter. Dr. Sebastian Köllner beobachtet für das Thüringer Infrastrukturministerium die demografische Entwicklung in dem Freistaat und sieht einen deutlichen Geburtenrückgang.
Wir hatten über etwa 20 Jahre (…) in Thüringen eine stabile Geburtenzahl von etwa 17.000 pro Jahr. Spätestens seit dem Jahr 2023 erleben wir deutlich niedrigere Zahlen von 13.000 Geburten.
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Dr. Sebastian Köllner, Serviceagentur demografischer Wandel im Thüringer Ministerium für Digitales und Infrastruktur
Und für 2024 sehen die Zahlen auch nicht besser aus. Der Hauptgrund ist ein sogenannter demografischer Echoeffekt im Osten.
"Krisen verunsichern die Menschen und viele schieben den Kinderwunsch deshalb auf", so Prof. Martin Bujard, Forschungsdirektor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung.21.03.2024 | 5:06 min
Die zentrale Ursache liegt in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Unsicherheit in der Zeit nach der Wiedervereinigung, sprich Anfang und Mitte der 90er Jahre.
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Dr. Sebastian Köllner
"Wir hatten in diesem Zeitraum quasi eine Halbierung der Geburtenzahlen (…), eine auch im internationalen Vergleich historisch niedrige Geburtenrate", konstatiert Köllner. Die Kinder von damals sind heute im Eltern-Alter.
Theoretisch sollten alle Kinder die gleichen Bildungschancen bekommen, die Realität sieht anders aus. Denn viele Kitas müssen größere Herausforderungen bewältigen als andere. 03.07.2024 | 1:36 min
Einige Kindergärten müssen schließen
Und besonders "die Frauen aus dieser Generation sind eben Mangelware", sagt Daniel Steffan (CDU). Er ist Bürgermeister im thüringischen Ort Gerstungen. Die Gemeinde hat die Fläche einer Großstadt, aber nur rund 9.000 Einwohner.
Wie überall im Osten gibt es auch hier gut ausgebaute Betreuungsstrukturen, bisher hatten viele Ortsteile noch einen eigenen Kindergarten. Doch zwei davon müssen dieses Jahr schließen, eine schwere Entscheidung und ein Prozess begleitet von viel Unmut und Sorgen.
Doch bei fünf Kindern in einer Einrichtung "lässt sich auch der pädagogische Betrieb nicht mehr absichern", sagt Daniel Steffan. Obwohl der Freistaat Thüringen seit Januar den Betreuungsschlüssel erhöht hat, jede Erzieherin und jeder Erzieher also für weniger Kinder zuständig ist, fürchtet der Bürgermeister mittelfristig auch Folgen fürs Personal.
Ich denke, in den nächsten Jahren wird sich auch der Fachkräftebedarf reduzieren. Das kann man einfach ableiten an der Anzahl der Kinder.
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Daniel Steffan (CDU), Bürgermeister in Gerstungen
Als erstes Bundesland führte Hamburg vor zehn Jahren den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ein. Seitdem ist die Zahl an Kitas gewachsen, der tatsächliche Bedarf ist aber immer noch nicht gedeckt.31.08.2023 | 2:00 min
Deutlicher Rückgang der Geburtenzahl
Und da macht sich der Demografieexperte Sebastian Köllner keine zu großen Hoffnungen. Die Zahlen, sagt er, könnten zwar auf eine Stabilisierung hindeuten, aber "auf niedrigerem Niveau".
Bundesweit gehen die Geburten zurück, "aber im Osten ist es einfach prägnanter und prominenter". Im Vergleich zu 1990 war die Geburtenrate 2023 in Ostdeutschland laut Statistischem Bundesamt 52 Prozent niedriger.
Für viele Kitas heißt das Bangen und Werben. In Erfurt-Waltersleben haben der Trägerverein und der Elternbeirat schon Aktionen gestartet, Tag der offenen Tür, Flyer, Mundpropaganda. Sie wollen kämpfen, damit die traditionsreiche Kita im Ort bleibt.
Quelle: dpa
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