Exklusiv
Stimmung vor Landtagswahlen:Jung, ostdeutsch - und unzufrieden?
|
Sie sind Anfang 20, studieren, arbeiten oder gehen in die Lehre. Ihr Lebensgefühl: zwischen unbeschwerter Jugend und Krisenerfahrungen. Was bewegt junge Ostdeutsche am meisten?
Florian Süß (l.) und Franz Goller (r.) aus Werdau in Sachsen sind Techno-DJs. Sie legen Wert auf ihre Ost-Prägung.
Quelle: ZDF
Vor fünf Jahren waren sie noch zu jung zum Wählen. Seitdem ist viel passiert: Corona, Ukraine-Krieg, Inflation. Um die Stimmung unter den jungen Menschen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg nicht zu verengt zu beschreiben, ist vorweg eines wichtig: Das Bild einer unzufriedenen Ost-Jugend, die aus der öden Provinz düster in die Zukunft schaut, hält dem Realitätscheck nicht stand. Die Mehrheit denkt positiv und feiert das Leben.
Ruhe vor der aufgeregten Welt
Auch den Stempel "abgehängt" will sich niemand aufdrücken lassen, schon gar nicht vom Westen. Während der Dreharbeiten für die sechsteilige ZDF-Reportagereihe "Ossiversum stabil?" hieß es immer wieder: Das Leben im Osten, vor allem auf dem Land, sei wunderbar, so wie es ist. Mit Traditionen, Familie, Freunden und vor allem Ruhe vor der aufgeregten Welt.
Ich könnte nicht in der Stadt wohnen. Schön aufm Dorf, man kennt jeden, grüßt jeden.
Simon Stelter, 20, aus Flurstedt in Thüringen
Sorge vor schwindendem Wohlstand
Ob aber die Zukunft für sie genauso viel Wohlstand bereit hält wie früher für ihre Eltern, bezweifeln viele. Angesichts der im Vergleich zum Westen niedrigeren Löhne und geringeren Vermögen trifft die jahrelang anhaltende Inflation viele Junge im Osten unmittelbarer als Gleichaltrige im Westen.
Wir werden uns wahrscheinlich kein Haus mehr leisten können.
Florian Süß, 22, gelernter Maurer aus Werdau in Sachsen
Florian Süß aus Werdau bedauert das. Er sei so ein Typ, "der sich gern was Eigenes aufbauen würde".
Mehr als 30 Jahre nach der Einheit ist der "Osten" für viele "Wessis" immer noch eine fremde Welt. Sind Ost und West wirklich so verschieden, und wenn ja, warum? Dieser Frage gehen die Reporter Mathias Kubitza (geboren 1984 in Erfurt/DDR) und Peter Ruppert (geboren 1971 in Wiesbaden/BRD) für die Mediatheksserie "Ossiversum stabil? - Jung im Osten" nach. Dafür haben sie in den vergangenen Monaten junge Menschen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg begleitet. Entstanden sind sechs Porträts, die der Frage nachgehen, auf was es diesen jungen Menschen ankommt im Leben. Was hat sie geprägt, was macht sie glücklich, worauf sind sie stolz? Aber auch: Was nervt sie und wovor haben sie Angst? Und was bedeutet es für sie, "ostdeutsch" zu sein?
Wut über Folgen illegaler Zuwanderung
Dass sich durch illegale Zuwanderung ihre Heimat verändert hat, sehen viele junge Ostdeutsche kritisch. In Cottbus etwa hat sich der Ausländeranteil in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht, auf 13 Prozent. Bilder von brutalen Verbrechen wie dem Polizistenmord in Mannheim, verübt von einem Afghanen mit abgelehntem Asylantrag, gepaart mit Meldungen über einen Anstieg der Messergewalt, machen viele wütend. "Das darf halt nicht sein, dass jeder ein Messer dabei hat", sagt ein Jugendlicher aus Brandenburg. "Musst ja schon Angst haben, wenn du rausgehst."
AfD spricht Sprache der Jugend
Viele Wahlsprüche der Parteien, die nun wieder überall hängen, gehen am Lebensgefühl vieler junger Ostdeutscher vorbei. "Wie viel Hitze verträgst du?", fragen zum Beispiel die Grünen in Thüringen. Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken fordert "Anstand und Haltung". Gleichzeitig erreicht die vom Verfassungsschutz in Sachsen und Thüringen als rechtsextrem eingestufte AfD die Jungen professionell und treffsicher über alle digitalen Kanäle.
Die AfD ist halt die Partei, die Probleme anspricht. Viele andere Politiker reden drum rum.
Anton, 20, aus Camburg in Thüringen
In Umfragen liegt die AfD in zwei von drei Ländern, in denen am 1. und am 22. September gewählt wird, vorn.
Andere Parteien zu lange auf Macht ausgeruht
Jakob Springfeld ist in Zwickau groß geworden. Dort gründete er vor fünf Jahren eine Gruppe von Fridays for Future, ist dadurch Mitglied der Grünen, aber ohne Amt und Kandidatur. Als politischer Aktivist und Autor des Buchs "Unter Nazis" kämpft er gegen den gesellschaftlichen Ruck nach extrem rechts. Der besonders große AfD-Zuspruch im Osten liege auch daran, dass sich die anderen Parteien zu lange auf ihrer Macht ausgeruht und vor allem die ländlichen Regionen vernachlässigt hätten.
Und jetzt ist es ein Sprengkörper, der durch multiple Krisen immer mehr zum Vorschein kommt.
Jakob Springfeld, 22, politischer Aktivist aus Sachsen
Jung, ostdeutsch, unzufrieden? Das trifft es nicht. Aber wer heute jung ist im Osten, zweifelt womöglich etwas mehr als Gleichaltrige im Westen, ob die Zukunft eine gute wird. Für sich ganz persönlich wie für das gesamte Land.
Quelle: dpa
Sie wollen auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie beim ZDFheute-WhatsApp-Channel richtig. Hier erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Zur Anmeldung: ZDFheute-WhatsApp-Channel.
Mehr zu bevorstehenden Landtagswahlen
Interview
Vor Landtagswahl in Thüringen:AfD wird "wegen und trotz Höcke" gewählt
mit Video
Wahlkampf in Sachsen:Die Parteien versuchen es mit Sachthemen
Stefan Kelch, Dresden
mit Video
Vor der Landtagswahl:Verhältnisse in Thüringen ohne Lehrbuch
Melanie Haack, Erfurt
Mehr zum Thema Jugend und Politik
mit Video
Jugendverbände gegen die Ampel:"Sie kürzen unsere Zukunft weg!"
von Julia Vonier
Studie der Bertelsmann-Stiftung:Jeder zweite junge Mensch fühlt sich einsam
Kinderreport:Jugendliche skeptisch bei Demokratie-Erhalt
mit Video
Studie "Junges Europa":Deutschlands Jugend fühlt sich benachteiligt
von Christiane Hübscher