Vermerk im Abi-Zeugnis zulässig:Was das Legasthenie-Urteil bedeutet
von Moritz Flocke
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Hat ein Schüler Legasthenie, darf das im Abiturzeugnis vermerkt werden, entschied das Bundesverfassungsgericht. Bei den drei Klägern muss der Eintrag trotzdem entfernt werden.
Dass man Legasthenie hat, kann im Abiturzeugnis vermerkt werden. So hat jetzt das Bundesverfassungsgericht entschieden. Ein Umstand, gegen den sich drei Beschwerdeführer gewendet haben. Sie haben 2010 in Bayern das Abitur absolviert.
In ihrem Fall muss der Legasthenie-Vermerk aber trotzdem entfernt werden. Das klingt widersprüchlich - jedoch nur auf den ersten Blick. Denn die Kläger haben in Bezug auf ihre Zeugnisse zwar Recht bekommen, doch das Prinzip, gegen das sie vorgingen, bleibt grundsätzlich erhalten.
Karlsruher Richter stellen Ungleichbehandlung fest
Die Verfassungsrichter argumentieren, dass damals Zeugnisbemerkungen ausschließlich bei legasthenen Schülern angebracht wurden, nicht jedoch bei Schülern mit anderen Beeinträchtigungen. Außerdem gebe es Fälle, in denen Lehrkräfte aufgrund eigenen Ermessens von einer Bewertung von Rechtschreibleistungen in bestimmten Fällen absehen konnten.
Das benachteilige die Beschwerdeführer aufgrund ihrer Behinderung, stelle eine Ungleichbehandlung dar und sei nicht mit der Verfassung vereinbar. Neben diesen konkreten Fällen machen die Verfassungsrichter aber noch weitere Vorgaben.
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Vermerke können sogar geboten sein
Das höchste deutsche Gericht stellt nämlich klar, dass es in anderen Konstellationen sogar geboten sein kann, eine Bemerkung im Zeugnis aufzunehmen. Denn das Abitur sei als breiter, allgemeiner Qualifikationsnachweis angelegt. Nur durch einen Vermerk könnten die Interessen von Beeinträchtigten und Menschen ohne Beeinträchtigung in Ausgleich gebracht werden.
Allerdings darf ein Vermerk nicht auf Legastheniker beschränkt sein. Vielmehr müsste bei allen, die einen Ausgleich bei Prüfungen erhalten, ein entsprechender Vermerk im Zeugnis erfolgen.
Ein Urteil mit zwei Seiten
Gegner des Legasthenie-Vermerks bewerten das Urteil als zweischneidig. Tanja Scherle, Vorsitzende des Bundesverbandes Legasthenie, erklärt:
Allerdings hätte sie sich gewünscht, dass die Zeugnisbemerkung nicht mehr notwendig wäre, sodass der Rückschluss auf die Legasthenie nicht mehr gegeben sei.
Auch Anton Tartz, ein Blogger über das Leben mit Legasthenie, sagt: "Dass Legasthenie eine Behinderung ist, ist so eine wichtige Bestätigung."
Von Seiten der bayrischen Staatsregierung heißt es, dass das Urteil mehr Verwaltungsaufwand verursache. Es werde in Zukunft mehr Vermerke geben, auch zum Beispiel bei körperlichen Behinderungen, bei denen man nicht selbst schreiben kann.
KMK will Urteil prüfen
Der Pressesprecher der Kultusministerkonferenz (KMK) der Länder, Torsten Heil, erklärte nach der Entscheidung schriftlich: "Wir werden das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in den zuständigen KMK-Gremien hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf bestehende ländergemeinsame Vereinbarungen sorgfältig prüfen."
Die Nichtbewertung der Rechtschreibung zählt zu den Maßnahmen des Notenschutzes. Daneben gibt es auch Maßnahmen des Nachteilsausgleichs. Diese können zum Beispiel so aussehen, dass Schüler eine mündliche statt einer schriftlichen Prüfung ablegen, einen Laptop mit automatischer Rechtschreibkorrektur nutzen dürfen oder mehr Zeit bekommen. Dieser Nachteilsausgleich wird im Zeugnis nicht erwähnt.
In den meisten Bundesländern endet der Notenschutz in der Oberstufe; dann gibt es nur noch Nachteilsausgleich. In Bayern erhalten Schüler darüber hinaus einen Nachteilsausgleich bei Prüfungen. Für die drei Beschwerdeführer geht damit ein jahrelanger Kampf vor Gericht erfolgreich zu Ende.
Moritz Flocke ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.
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