Auflösung der Linksfraktion:6.12.2023, 0 Uhr: Linken-Aus an Nikolaus
von Andrea Maurer
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Heute um 0 Uhr hat sich die Linksfraktion im Deutschen Bundestag aufgelöst. Welche Stühle nun rücken müssen und wer sitzen bleibt.
Wenn heute zum Nikolaus das Fraktions-Aus kommt, wird sich für die Linke im Bundestag fast alles ändern. Eins aber bleibt gleich: An der Spitze der verbliebenen 28 linken Abgeordneten, die am vergangenen Freitag bei Bärbel Bas den Antrag gestellt haben, eine Gruppe zu werden, steht Dietmar Bartsch. Seine Mitarbeiter nennen ihn schon lange "den ewigen Vorsitzenden".
Bartsch will die fraktionslosen Abgeordneten führen, bis sie als parlamentarische Gruppe anerkannt sind, deren Gruppenvorsitzender er dann werden will. Einstimmig sei der Entschluss dazu gefallen, teilte Bartsch letzte Woche mit.
"Es wäre übrigens auch absurd, da jetzt einen Wechsel zu vollziehen, denn ich habe die Gespräche nicht nur mit dem Präsidium, sondern auch mit meinen Amtskollegen aller anderen Fraktionen mit einer Ausnahme [der AfD; Anm. d. Redaktion] geführt."
Bartsch und Wagenknecht, Tür an Tür
Gleich bleibt erstmal auch Dietmar Bartschs Büro: "Sie können davon ausgehen, wenn Sie mich besuchen, kommen Sie in das Büro. Ich werde da auf absehbare Zeit mit Sicherheit weiter sitzen." Und gleich bleibt wohl auch seine Büronachbarin: Sahra Wagenknecht.
Wagenknecht und Bartsch kennen sich gut. Sie waren mal zusammen Fraktionsvorsitzende, von 2015 bis 2019. Damals zog Wagenknecht in das ehemalige Büro von Oskar Lafontaine. Und Bartsch zog in das ehemalige Büro von Gregor Gysi. Die Büros liegen Tür an Tür.
Es ist wohl eine Ironie der Geschichte, dass die beiden ehemaligen Vorsitzenden der aufgelösten Linksfraktion nun wahrscheinlich weiter als konkurrierende Gruppenvorsitzende in diesen Büros sitzen könnten.
Denn auch Wagenknecht will Vorsitzende jener neun Abgeordneten werden, die Mitte Oktober geschlossen aus der Linksfraktion ausgetreten sind und damit ihr Ende besiegelt haben. Und auch Wagenknecht und ihre Leute wollen nächste Woche bei der Bundestagspräsidentin den Gruppenstatus beantragen.
Stühlerücken im Parlament
Zwei also könnten sitzen bleiben. Für die anderen aber heißt es perspektivisch Stühle rücken im Parlament. Der linke Rand neben SPD und Grünen wird sich verändern - und es ist ein Vorgang ohne Präzedenz, denn noch nie hat sich eine Fraktion während der laufenden Legislaturperiode aufgelöst. Wie und wann die Stühle rücken, ist noch unklar. Klar ist nur, dass sie rücken werden.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Thorsten Frei sagt zu ZDFheute: "Natürlich kann eine solche Gruppe kein eigenes Torten-Stück im Parlament bekommen, also nicht in der ersten Reihe sitzen, die Sitzordnung wird sich selbstverständlich verändern. Und das wird man im Ältestenrat besprechen müssen, wie man das dann tatsächlich abwickelt."
Dietmar Bartsch gibt sich betont gelassen: "Ich glaube, für die Menschen in unserem Land ist das relativ unwichtig, wer wo sitzt."
Der Ältestenrat des Bundestages, der aus der Bundestagspräsidentin, ihren Stellvertretern und 23 Mitgliedern der Fraktionen besteht, muss nun also sowohl über die Gruppenanträge entscheiden als auch über die Sitzordnung.
Bis dahin wird spekuliert. Unter anderem darüber, dass möglicherweise die Wagenknecht-Gruppe zwischen AfD und Union rücken könnte - der Union soll ein solcher Puffer zur AfD nicht unlieb sein, heißt es.
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Fraktionslose Einzelabgeordnete
In diesem Jahr allerdings wird es wohl noch keine Entscheidung geben. Und so bleiben die Abgeordneten der aufgelösten Linksfraktion als fraktionslose Abgeordnete erstmal auf ihren alten Plätzen im Parlament sitzen.
Sie werden dann allerdings keinen Ausschussvorsitz mehr haben, keinen Stellvertreterposten, sie werden nicht mehr dem Vertrauensgremium angehören und auch nicht mehr dem Parlamentarischen Kontrollgremium.
Einzig Petra Pau wird wohl Bundestagsvizepräsidentin bleiben - die Geschäftsordnung des Bundestages sieht keine Abwahl vor und müsste geändert werden, was außer der AfD niemand will.
Die Bundestagspräsidentin hat den Abgeordneten nun per Brief mitgeteilt, in welchem Ausschuss sie Mitglied sein können, allerdings ohne Stimmrecht. Rederecht können sie im Parlament einzeln beantragen und ein bis zwei Minuten sprechen.
Damit dann in Zukunft nicht 38 Einzelabgeordnete sprechen, wollen sich die jeweiligen Lager um Bartsch und Wagenknecht koordinieren.
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"SPD und Scholz sind jetzt die linkeste Fraktion"
Trifft man Bartsch in diesen Tagen, merkt man, wie sehr es ihn ärgert, dass sich die aufgelöste Linksfraktion in der aktuellen Haushaltskrise ihrer Rederechte im Parlament beraubt hat. Bartsch ist Parlamentarier durch und durch - und machtbewusst.
Er weiß, dass die linke Opposition nun erstmal nicht mehr vorkommt - ausgerechnet in einer Zeit, in der die Ampel selbst verschuldete Milliardenlöcher stopfen muss. Oder, wie Bartsch es fast schon bitter sagt: "Die SPD und Scholz wären ohne die Linke im Bundestag die linkeste Fraktion im Bundestag. Eine irre Vorstellung."
Auch der ehemalige parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, sieht das so:
Zur Wahrheit gehört: Die Kraft hat sich selbst geschwächt. Die Einzelabgeordnete müssen nun hoffen, eine Gruppe rund um Bartsch oder Wagenknecht werden zu können. Und jede Gruppe kämpft dann um ein Ziel: als Fraktion zurück zu kommen in den Bundestag 2025.
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