Wahlrechtsmanipulation durch Ampel? Merz hat Unrecht
Faktencheck
Vorwurf gegen Ampel von CDU-Chef:Wahlrechtsmanipulation? Merz hat Unrecht
von Nils Metzger und Oliver Klein
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Harter Vorwurf von CDU-Chef Merz: Die Ampel würde das Wahlrecht manipulieren. Eine Juristin hält die Aussage für "absurd" - die Wahlkreiseinteilung könne Parteien nicht bevorzugen.
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CDU-Chef Friedrich Merz hat mit markigen Worten Maßnahmen der Ampel-Koalition beim Wahlrecht kritisiert. Seit 30 Jahren werde in den USA das Wahlrecht manipuliert, behauptete Merz. Dieses sogenannte Gerrymandering, also das gezielte Zuschneiden von Wahlbezirken, um Mehrheiten für eine Partei herbei zu rechnen, habe dazu geführt, "dass die Demokratie in Amerika nicht mehr richtig funktioniert".
"Die Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen macht jetzt in Deutschland genau dasselbe. Damit wird unserer Demokratie großer Schaden zugefügt. Ich bedaure das sehr", sagte Merz. Später bekräftigte er bei X, dem früheren Twitter, seinen Vorwurf.
Posting von Friedrich Merz bei X
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Was ist dran an der Behauptung? Was plant die Ampel mit dem Wahlrecht und warum? ZDFheute mit einem Faktencheck.
Darum geht es: Wahlkreise müssen neu zugeschnitten werden
Am Donnerstag soll im Bundestag über einen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen diskutiert werden: Die Ampel will Wahlkreise neu zuschneiden. In Sachsen-Anhalt soll es einen Wahlkreis weniger, in Bayern dafür einen Wahlkreis mehr geben. Grund: Wahlkreise müssen immer wieder umstrukturiert werden, wenn sich deren Bevölkerungsanteil ändert - das sieht das Bundeswahlgesetz so vor. Ein Wahlkreis soll immer in etwa ähnlich viele Bürger repräsentieren.
Weil in Sachsen-Anhalt immer weniger Menschen leben, soll die Zahl der Wahlkreise dort von bislang neun auf acht reduziert werden. Der bisherige Wahlkreis Anhalt würde aufgelöst. Im Gegenzug soll in Bayern aus Teilen der bisherigen Wahlkreise Augsburg-Land, Neu-Ulm und Ostallgäu ein zusätzlicher Wahlkreis gebildet werden. Die Änderungen wirken sich auch auf den Wahlkreis Augsburg-Stadt aus - und das ist der Stein des Anstoßes: Die kleine Stadt Königsbrunn im Süden Augsburgs, die bisher zum Wahlkreis Augsburg-Stadt gehört, würde dem Wahlkreis Augsburg-Land zugeschlagen. Das erzürnt Merz.
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Stein des Anstoßes: Der Wahlkreis Augsburg-Stadt
"Es ist eine relativ kleine Änderung, die hat es aber in sich", so Merz. Damit solle erreicht werden, dass der Wahlkreis Augsburg-Stadt "nicht zu viele CSU-Wähler hat" und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) "bei der nächsten Bundestagswahl in Augsburg Stadt ihren Wahlkreis behalten kann", behauptet der CDU-Chef.
Tatsächlich ist die CSU in Königsbrunn stark, noch stärker als im restlichen Wahlkreis Augsburg-Stadt. Das heißt: Eine Umgliederung der Stadt könnte den Vorsprung der CSU im verbleibenden Wahlkreis Augsburg-Stadt schwinden lassen, womöglich zum Vorteil der Grünen, die auf ein Direktmandat hoffen könnten.
Aber das Skandalpotenzial ist tatsächlich deutlich geringer: Denn zum einen kann Roth ihren Wahlkreis gar nicht "behalten" - aktuell hat dort CSU-Politiker Volker Ullbrich das Direktmandat inne. Roth kam bei der vergangenen Bundestagswahl über ihren ersten Platz auf der Grünen-Landesliste ins Parlament. Zudem würde durch die Reform ein völlig neuer Wahlkreis in der Region gegründet - und dort könnte die im ländlichen Raum starke CSU wahrscheinlich punkten. Der wegfallende Wahlkreis in Sachsen-Anhalt hingegen ging zuletzt bei den Erststimmen knapp an die AfD, bei den Zweitstimmen errang die SPD das beste Ergebnis - er war also recht umkämpft.
Jeder Wahlkreis in Deutschland sollte in etwa die gleiche Anzahl von Einwohnerinnen und Einwohnern mit deutscher Staatsbürgerschaft umfassen. Sobald sich die Bevölkerung eines Wahlkreises deutlich verändert und um mehr als 25 Prozent nach oben oder unten abweicht, schreibt das Wahlgesetz einen Neuzuschnitt vor. Das findet vor quasi jeder Bundestagswahl statt, so auch unter der Großen Koalition vor der Bundestagswahl 2021. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung wurden in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Bayern der Zuschnitt von Wahlkreisen geändert. In Thüringen gab es außerdem eine Angleichung aufgrund von kommunalen Gebietsänderungen. Hier die Änderungen im Überblick:
In Brandenburg wurde die amtsfreie Gemeinde Werder (Havel) im Landkreis Potsdam-Mittelmark aus dem Wahlkreis 61 Potsdam - Potsdam-Mittelmark II - Teltow-Fläming II herausgelöst und dem Wahlkreis 60 Brandenburg an der Havel - Potsdam-Mittelmark I - Havelland III - Teltow-Fläming I zugeordnet.
In Nordrhein-Westfalenverließ die Stadt Schloß Holte-Stukenbrock im Kreis Gütersloh ihren bisherigen Wahlkreis 137 Paderborn - Gütersloh III und gehört nun dem bisherigen Wahlkreis 136 Höxter - Lippe II an. Der Wahlkreis 137 heißt nun nur noch Paderborn, der Wahlkreis 136 Höxter - Gütersloh III - Lippe II. Die Stadt Detmold im Kreis Lippe wechselt vom bisherigen Wahlkreis Höxter V Lippe II in den Wahlkreis 135 Lippe I.
In Bayernwird die Verwaltungsgemeinschaft Wörth an der Isar, die bisher im Wahlkreis 228 Landshut lag, nun dem Wahlkreis 230 Rottal-Inn zugeordnet. Die Verwaltungsgemeinschaft Wörth an der Donau ist neu im Wahlkreis 234 Schwandorf, nachdem sie aus dem Wahlkreis 233 Regensburg ausgelagert worden war. Die Verwaltungsgemeinschaft Uehlfeld wechselte vom Wahlkreis 243 Fürth in den Wahlkreis 242 Erlangen. Schließlich verließ die Gemeinde Altenmünster den Wahlkreis 253 Augsburg-Land und gehört jetzt dem Wahlkreis 254 Donau-Ries an.
Eine Angleichung an kommunale Gebietsänderungen fand im Freistaat Thüringen statt. Die im Wahlkreis 190 Eisenach - Wartburgkreis - Unstrut - Hainich-Kreis befindlichen Teile der Gemeinde Kaltennordheim, die im Wahlkreis 192 Gotha - Ilm-Kreis befindlichen Teile der kreisfreien Stadt Suhl und die im Wahlkreis 194 Saalfeld-Rudolstadt - Saale-Holzland-Kreis - Saale-Orla-Kreis befindlichen Teile der Stadt Neuhaus am Rennweg wurden in den Wahlkreis 196 Suhl - Schmalkalden-Meiningen - Hildburghausen - Sonneberg umgesetzt. Die Wahlkreise setzen sich damit wieder aus ungeteilten Landkreisen zusammen.
Direktmandate haben keinen Einfluss mehr auf Mehrheiten
Hinzu kommt, dass die Zahl der errungenen Direktmandate im aktuellen Wahlrecht praktisch keinen Einfluss auf die finalen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag mehr hat. Für die Juristin und Parteienforscherin Sophie Schönberger von der Universität Düsseldorf hat die Merz-Kritik deshalb generell keine inhaltliche Grundlage:
Schönberger argumentiert: Eine solche Manipulation ist im derzeitigen Bundestagswahlrecht gar nicht möglich. Denn das Gerrymandering sei ein Instrument des Mehrheitswahlrechts, bei der der Gewinn des Wahlkreises tatsächlich über die Mehrheitsverhältnisse im Parlament entscheidet. "Das Bundestagswahlrecht ist ein reines Verhältniswahlrecht", so Schönberger.
Auch Joachim Behnke, Politikwissenschaftler an der Zeppelin Universität, sieht keine amerikanischen Verhältnisse im deutschen Wahlrecht:
"Die parteipolitische Zusammensetzung des Parlaments richtet sich allein nach der Zweitstimme, die Wahlkreise sind allein parteiintern für die Verteilung der Mandate zwischen Listen- und Wahlkreiskandidaten von Bedeutung", so Schönberger zu ZDFheute. Denn durch die Wahlrechtsreform 2023 hat der Bundestag Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft. Deshalb gilt nun: Eine Veränderung bei den Wahlkreisen kann nur darüber entscheiden, wer für eine Partei ins Parlament entsendet wird, nicht aber, wie viele Sitze diese Partei insgesamt erhält.
"Der Neuzuschnitt ist ein normaler Prozess und muss ständig vorgenommen werden", betont Behnke, der Grünen-Parteimitglied ist, jedoch von mehreren Fraktionen, auch der Union, als Sachverständiger für die Kommission des Bundestags benannt wurde, die Reformen des Wahlrechts ausarbeitet. Dass man über den Wahlkreiszuschnitt die Mehrheitsverhältnisse insgesamt im Parlament "manipulieren" könnte, ist mit dem neuen Wahlrecht also so gut wie ausgeschlossen. Aber ein Wahlkreis-Sieg hat auch Symbolkraft und zumindest einzelne Abgeordnete können so natürlich die eigene Stellung etwas verbessern.
Großer Streit um Reform des Wahlrechts
Merz' Aussage tangiert jedoch ein deutlich größeres Problem: Über die gesamten Wahlrechtsreformen der Ampel gibt es anhaltenden Streit zwischen Regierung und Opposition. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mussten Änderungen her, aber weder SPD und Union während der Großen Koalition noch Ampel und Union konnten sich auf eine gemeinsame Regelung einigen.
Gegen den Alleingang der Ampel klagt die CSU nun wiederum in Karlsruhe - Ausgang offen. Dabei geht es jedoch um andere Detailfragen und weniger um den Zuschnitt von Wahlkreisen. Der wütende Vorwurf des CDU-Chefs verdeutlicht aber erneut: In Sachen Wahlrechtsreform scheint das Tischtuch zwischen den Parteien nachhaltig zerschnitten zu sein.
Fazit: Der von Friedrich Merz kritisierte Neuzuschnitt von Wahlkreisen in Bayern kann unmöglich zu einer Bevorzugung der Grünen bei der kommenden Bundestagswahl führen, da nur noch der Anteil der Zweitstimmen über die Sitzverteilung entscheidet. Die von Merz unterstellte "Manipulation" und "Gerrymandering" kann es in dieser Form bei der Bundestagswahl nicht geben.
Hinweis 31.01.2024, 22:30 Uhr: Im Text wurde ergänzt, dass der Experte Joachim Behnke eine Parteimitgliedschaft der Grünen besitzt.
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