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Bayrisches Polizeiaufgabengesetz:Generalklausel zulässig - mit Einschränkungen
von Sibylla Elsing
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Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat einen umstrittenen Kernpunkt des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes bestätigt - mit Einschränkungen. Es ging um die Generalklausel.
Die Polizei in Bayern darf zukünftig in bestimmten Fällen auch ohne konkreten Verdacht auf eine Straftat eingreifen.
Quelle: Imago
Seit Jahren brodelt es zwischen der Bayerischen Landesregierung und der Opposition. Streitpunkt sind die Änderungen im Polizeiaufgabengesetz (PAG). Nach der Verhandlung am 29. Januar stand heute das mit Spannung erwartete Urteil an. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat nun einen umstrittenen Aspekt des bayerischen PAG unter bestimmten Einschränkungen bestätigt.
Was war der Grund der Auseinandersetzung?
Streitpunkt war der 2018 im PAG ergänzte Begriff der "drohenden Gefahr".
...bedarf es somit keiner konkreten Gefahr, sondern es genügt die Vermutung, dass in absehbarer Zeit Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sein könnten.
Hierdurch hat Bayern eine rechtlich abgesicherte Grundlage geschaffen, die es der Polizei erlaubt, im Vorfeld einzugreifen und so möglicherweise schwerwiegende Straftaten zu verhindern. Mit der Neuerung des PAG hat der Freistaat hier eine Generalklausel geschaffen, die das Eingreifen der Polizei in nicht voraussehbaren Gefährdungslagen ermöglicht.
Das PAG legt fest, wann Polizeibeamte zur Gefahrenabwehr tätig werden dürfen. So darf die Polizei unter bestimmten Bedingungen ohne konkreten Verdacht auf Straftaten Maßnahmen wie Personenkontrollen, das Abhören von Telefonaten oder die Auswertung von Überwachungskameras vornehmen. In einigen Fällen ist auch ein vorübergehend präventive Festnahmen von Personen möglich, wie es beispielweise bereits in Zusammenhang mit Demonstrationen von Klimaaktivisten angewendet wurde.
Andere Bundesländer gestatten ihrer Polizei in ähnlichen Gefahrensituationen nur begrenzte Maßnahmen, die meist auf Informationsgewinnung beschränkt sind oder sich ausschließlich auf die Terrorismusbekämpfung konzentrieren.
SPD und Grüne klagten
Dadurch, dass das neue Gesetz tiefgreifende Eingriffe in Grundrechte bereits vor dem Vorliegen einer konkreten Gefahr ermöglicht, müssen die Vorgaben besonders präzise und eindeutig sein. Nach Ansicht von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und weiteren Klägern seien die Kriterien für eine "drohende Gefahr" jedoch zu vage und erfüllen in ihrer Gesamtheit nicht die rechtlichen Anforderungen an Klarheit und Bestimmtheit für Gesetze.
Auch die im Gesetz aufgeführten "Rechtsgüter" wie die "Sicherheit des Bundes oder eines Landes", "Leben, Gesundheit oder Freiheit", die "sexuelle Selbstbestimmung" und "Anlagen der kritischen Infrastruktur sowie Kulturgüter von mindestens überregionalem Rang" seien teilweise begrifflich zu ungenau. Befürchtet wird, dass die Schwelle für Polizeieinsätze dadurch deutlich herabgesetzt wird.
Was sagt die Staatsregierung?
Der Prozessvertreter der Staatsregierung, Markus Möstl, betont, die Polizei wisse vielleicht, was passiere - aber nicht wann und wo. Grundrechte werden seiner Meinung nach durch das PAG nicht verfassungsrechtlich eingeschränkt. Vielmehr könne die Polizei rechtzeitig handeln und eine eventuell vorliegende "drohende" Gefahr frühzeitig abwenden.
Bayerischer Verfassungsgerichtshof bestätigt Generalklausel
Mit der Verkündung der Entscheidung hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof nun einen umstrittenen Aspekt des PAG mit Einschränkungen bestätigt. Das Gericht entschied, dass der Begriff der "drohenden Gefahr" grundsätzlich nicht verfassungswidrig ist, jedoch einer "bestimmten Auslegung" bedarf, wie Gerichtspräsident Hans-Joachim Heßler in München erläuterte.
Maßgeblich seien hierfür drei wesentliche Voraussetzungen: Zum einen ist ein Eingreifen der Polizei nur dann erlaubt, wenn das Verhalten einer Person aus ihrer Sicht eine "konkrete Wahrscheinlichkeit" für Angriffe mit "erheblicher Intensität oder Auswirkung" begründet, wobei dies ausschließlich auf terroristische oder vergleichbare Angriffe auf bedeutende Rechtsgüter zutrifft.
Zum anderen dürfen schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte bei neuen Gefährdungslagen, die vom Gesetzgeber bislang nicht bedacht wurden, nur vorübergehend von der Generalklausel getragen werden. Auch ist es der Polizei nur gestattet, Maßnahmen zu ergreifen, "die nicht tief in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen".
Sibylla Elsing ist Mitarbeiterin in der Redaktion Recht & Justiz des ZDF
Quelle: dpa
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