Experte zu Finanzpaket: "Verfassungsrechtliches Störgefühl"

Finanzpaket von Union und SPD:Experte: "Verfassungsrechtliches Störgefühl"

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Union und SPD wollen so viele Schulden aufnehmen wie nie. Das angekündigte Milliardenpaket sei zwar rechtskonform, so Verfassungsrechtler Schwarz. Doch es bleibe ein "Störgefühl".

Prof. Kyrill-Alexander Schwarz | Verfassungsrechtler Universität Würzburg
Es ist zwar rechtlich so, dass "der alte Bundestag voll handlungsfähig ist", so der Verfassungsrechtler Prof. Kyrill-Alexander Schwarz. Allerdings sei das Milliardenpaket ein "weitreichender Beschluss".07.03.2025 | 4:35 min
In gemeinsamen Sondierungen haben sich CDU, CSU und SPD auf eine Lockerung der Schuldenbremse geeinigt. Zudem soll ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur auf den Weg gebracht werden. Weil dafür das Grundgesetz geändert werden muss, brauchen die Parteien aber eine Zweidrittelmehrheit im Deutschen Bundestag.
Im neu gewählten Bundestag würden Linke und AfD das Vorhaben vermutlich stoppen. Daher soll das schon abgewählte Parlament noch auf den letzten Metern grünes Licht für das Vorhaben geben– ein rechtlich umstrittenes Vorgehen, meint Professor Kyrill-Alexander Schwarz von der Universität in Würzburg.
Im ZDF-Morgenmagazin spricht der Rechtsexperte über ...

... den Handlungsspielraum des alten Bundestages

Dem Verfassungsrechtler zufolge sei zunächst davon auszugehen, dass der alte Bundestag voll handlungsfähig ist und jeden Beschluss fassen kann. Dennoch verbleibe ein "verfassungsrechtliches Störgefühl".
Dieses "Störgefühl" speise sich aus dem Umstand, dass es sich bei den Vorhaben von Union und SPD nicht um Marginalien handele, ordnet Schwarz ein. "Es geht um einen ganz grundsätzlichen weitreichenden Beschluss, der eine unglaubliche Bindungswirkung auch für die Zukunft entfalten wird."

Hier werden für nachfolgende Generationen haushaltspolitische Grundsatzentscheidungen getroffen, die diese nachfolgenden Generationen massiv belasten werden.

Kyrill-Alexander Schwarz, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Würzburg

Der Effekt der Schuldenbremse sei eigentlich, das zu verhindern. "Und hier finde ich, ist der neue Bundestag doch deutlich stärker legitimiert und es wäre eine Art verfassungsrechtliche Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem neuen Bundestag, wenn der alte Bundestag sich hier zurückhält", betont Schwarz.
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... ausreichende Beratungsfristen für Abgeordnete

Am Haushalt der Ampel-Regierung wurde unter anderem bemängelt, dass die Abgeordneten nicht genug Zeit hatten, sich ausreichend einzulesen. Auch beim Vorhaben von Union und SPD sei das "sicherlich auch eine offene Flanke, weil man auf der einen Seite sagen kann, Abgeordnete müssen, damit sie ihr Amt auch richtig ausüben können, ihre Funktion wahrnehmen können, auch entsprechende Zeit zur Beratung haben", sagt Schwarz.
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Auf der anderen Seite habe das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit deutliche Zurückhaltung gezeigt, konkrete Zeiträume zu benennen, wie lange ein Gesetzespaket im Bundestag beraten werden soll.

Der Bundestag kann grundsätzlich Kraft seiner Autonomie selbst entscheiden, ob auch gegebenenfalls kürzere Beratungsfristen erforderlich sind.

Kyrill-Alexander Schwarz, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Würzburg

Die Frage selbst sei zwar von erheblicher politischer Bedeutung, "aber ob man sehr viel Zeit braucht, um sich einzuarbeiten als Abgeordneter in die komplexe Beratungstheamtik, das ist doch eine andere Frage und da bin ich mir nicht sicher, ob Karlsruhe hier tatsächlich eine rote Linie ziehen würde", so der Verfassungsrechtler.
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... verfassungsrechtliche Bedenken

Ist das Milliardenpaket von Union und SPD verfassungskonform? Dafür spräche zum einen die ganz klare Aussage des Artikel 39 Absatz eins Satz zwei, der eben keine Beschränkungen des alten Bundestages kenne, meint Schwarz.

(1) Der Bundestag wird vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen auf vier Jahre gewählt. Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages. Die Neuwahl findet frühestens sechsundvierzig, spätestens achtundvierzig Monate nach Beginn der Wahlperiode statt. Im Falle einer Auflösung des Bundestages findet die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen statt.
(2) Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen.
(3) Der Bundestag bestimmt den Schluß und den Wiederbeginn seiner Sitzungen. Der Präsident des Bundestages kann ihn früher einberufen. Er ist hierzu verpflichtet, wenn ein Drittel der Mitglieder, der Bundespräsident oder der Bundeskanzler es verlangen.

Quelle:
www.bundestag.de

Es gebe hier schon der Versuch, diese Vorschrift ein bisschen zu interpretieren, indem man eben unter Hinweis auf andere Kriterien, wie den des Verfassungsorganrespekts oder der Verfassungsorgantreue sage: So etwas macht man nicht. Mit dem Satz "whatever it takes" werde eigentlich nur gesagt: Es gehe um eine Frage der Staatsräson, ordnet der Experte ein.

Es geht letzten Endes um die Aussage: der Zweck heiligt die Mittel.

Kyrill-Alexander Schwarz, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Würzburg

"Und das halte ich für keinen respektablen Umgang mit dem in so weit eben doch interpretationsbedürftigen und interpretationsfähigen Vorgaben der Verfassung", betont Schwarz.
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