Die Linke sendet mit der Neuaufstellung auf dem Erfurter Parteitag ein zartes Lebenszeichen. Der Weg zu einer kampagnenfähigen Organisation ist allerdings noch weit.
Janine Wissler bleibt an der Spitze der Linken – neu an ihrer Seite ist Martin Schirdewan. Der Bundesparteitag in Erfurt stand auch im Zeichen der Wahlniederlagen, Machtkämpfe und des #MeToo-Skandals in der Partei.
Seit Monaten liegt Die Linke darnieder. Bei der Bundestagswahl kam sie nicht einmal auf fünf Prozent und in drei Landtagswahlen glich sie eher einer Splitterpartei. Die inhaltlichen Unklarheiten werden seit Wochen von einer Sexismus-Debatte überlagert, die viele Genossinnen und Genossen ins Mark trifft.
Ausgerechnet die Partei, die sich selbst als feministisch bezeichnet, muss sich vorhalten lassen, eigene Mitarbeiterinnen und Mitglieder herabgewürdigt und wie Freiwild behandelt zu haben. Die bedrückendsten Momente des Erfurter Parteitags waren denn auch die Auftritte der eigenen Jugendorganisation, die die Erfahrungsberichte junger Frauen vortrug. Allesamt Darstellungen, die auf übelsten Machtmissbrauch in den eigenen Reihen hindeuten.
Sexismus, Nötigung, Missbrauch – die Vorwürfe gegen die Linkspartei nehmen kein Ende. Der Skandal allein hat schon das Potential, die Partei in den Abgrund zu stürzen.
Blicke in den Abgrund auf dem Parteitag der Linken
Es sind allerdings nicht nur diese beklemmenden Vorwürfe, die die Partei in den Abgrund blicken lässt. Auch die auseinanderdriftenden Meinungen zum russischen Angriffskrieg lassen sich kaum überbrücken. Wäre der Parteitagsregie nicht der Zufall zu Hilfe gekommen, wäre der Versuch eines Neustarts allein schon an diesem Thema gescheitert.
Doch Sahra Wagenknecht, die von einer Alleinschuld Moskaus nichts wissen will, hatte sich krankheitsbedingt abgemeldet und überließ auch denjenigen die Bühne, die gegen die Bombardements auf den Donbass, auf Kiew und Lemberg protestieren.
Tiefes Misstrauen gegen Nato überwiegt
Von einer klaren Positionierung ist die Linke mit Blick auf den völkerrechtswidrigen Krieg zwar nach wie vor weit entfernt, aber es gibt immerhin einige Stimmen der Vernunft wie die von Ministerpräsident Bodo Ramelow, der klarstellt, "dass Putin kein Linker ist". Gleichwohl steht Ramelow mit seiner Position, den bedrängten Ukrainern mit Waffen zu helfen, nur für eine Minderheit.
Die Linke hat auf ihrem Bundesparteitag in Erfurt Russlands Krieg gegen die Ukraine verurteilt. Die Delegierten sprachen sich jedoch gegen Waffenlieferungen in die Ukraine aus.
Auch die ukrainischstämmige Nachwuchspolitikerin Sofia Fellinger, die eindringlich die Not der Menschen in den umkämpften Gebieten beschreibt und ihren Parteifreunden vorwirft, kaltherzig auf das Morden und Brandschatzen zu blicken, kann nur kurzzeitig die Aufmerksamkeit binden.
Es überwiegen stattdessen Relativierungen und ein tiefes Misstrauen gegen das westliche Militärbündnis. Die Nato, daran lässt die Mehrheit der Delegierten keinen Zweifel, erscheint der Linken weiterhin als Hort der Aggression.
Neustart mit bisheriger Vorsitzender: Janine Wissler
Die eigentliche Überraschung auf dem Parteitag liegt denn auch weniger am Festhalten altbekannter Rituale, sondern am Neustart durch ihre alte und neue Vorsitzende. Janine Wissler gelingt es mit einer kämpferischen Rede, die Zweifler in den eigenen Reihen teilweise wieder hinter sich zu versammeln. Als Rückenwind für Wissler lässt sich auch die Wahl des Europapolitikers Martin Schirdewan als Co-Vorsitzender verstehen, der gemeinhin als ihr Wunschkandidat galt.
Fürs erste erscheint der Anti-Wissler-Flügel um Sahra Wagenknecht und den Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann geschwächt. Deren moskaufreundlicher Kurs erscheint selbst der Mehrheit der Linken nicht mehr zeitgemäß.
Die Partei sendet mit der Neuaufstellung ein zartes Lebenszeichen. Der Weg zu einer kampagnenfähigen Organisation ist allerdings noch weit. Und sollte es der Linkspartei nicht gelingen, den Abwärtstrend bei den Landtagswahlen in Niedersachsen im Oktober zu drehen, dürften die Tage für das neue Duo schnell gezählt sein.