Nach massiver Kritik:Antisemitisches documenta-Werk wird verdeckt
20.06.2022 | 19:55
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"Antisemitische Bildsprache": Jüdische Verbände und Politiker laufen Sturm gegen ein Werk des Kollektivs Taring Padi. Die Künstler und documenta-Macher beugen sich dem Druck.
Ein Ausschnitt des umstrittenen Großgemäldes des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Friedrichsplatz in Kassel.
Quelle: Uwe Zucchi/dpa
Seit Jahresbeginn lösen Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta fifteen in Kassel immer wieder Debatten aus. Nur wenige Tage nach der Eröffnung der Kasseler Weltkunstausstellung sorgt nun ein Werk des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi wegen antisemitischer Motive für einen Eklat.
Auf dem großflächigen Banner am Friedrichsplatz ist unter anderem ein Soldat mit Schweinsgesicht zu sehen. Er trägt ein Halstuch mit einem Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift "Mossad" - die Bezeichnung des israelischen Auslandsgeheimdienstes.
Anne-Frank-Bildungsstätte: Klare antisemitische Hetze
Es hagelte am Montag Kritik von jüdischen Verbänden und aus der Politik. "Das ist eine klare Grenzüberschreitung", sagte der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, und forderte die documenta-Verantwortlichen auf, den Beitrag umgehend abzudecken oder zu entfernen.
Diese Bilder lassen überhaupt keinen Interpretationsspielraum zu. Das ist klare antisemitische Hetze.
Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank
Auch Hessens Antisemitismusbeauftragter Uwe Becker verlangte, das Werk zu entfernen. Der Zentralrat der Juden erklärte, Kunstfreiheit ende dort, wo Menschenfeindlichkeit beginne. "Auf der documenta wurde diese rote Linie überschritten."
Werk von Taring Padi wird teilweise verdeckt
Inzwischen erklärte die documenta-Geschäftsführung gegenüber 3sat Kulturzeit:
Taring Padi hat sich gemeinsam mit der Geschäftsführung und der Künstlerischen Leitung entschieden, die Darstellung in der betreffenden Arbeit am Friedrichsplatz teilweise zu verdecken und eine Kontextualisierung dazu an der Arbeit zu installieren.
documenta-Pressestelle
Die Arbeit sei im Jahr 2002 entstanden und trage den Titel "People's Justice". Bei dem Versuch, das Werk im öffentlichen Raum in der Nähe der documenta-Halle aufzuhängen, sei der Stoff gerissen, hieß es weiter. Es sei in einer Werkstatt restauriert worden und deswegen erst kurz vor der documenta-Eröffnung, am vergangenen Freitagnachmittag, aufgehängt worden.
Kulturstaatsministerin Roth: "Antisemitsche Bildsprache"
Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) hatte wegen der "antisemitischen Bildsprache" Konsequenzen gefordert. "Die Menschenwürde, der Schutz gegen Antisemitismus, wie auch gegen Rassismus und jede Form der Menschenfeindlichkeit sind die Grundlagen unseres Zusammenlebens, und hier findet auch die Kunstfreiheit ihre Grenzen."
"Auch mein persönlicher Eindruck ist, dass hier eine antisemitische Bildsprache vorliegt", teilte die stellvertretende documenta-Aufsichtsratsvorsitzende, Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne), mit. Sie habe deshalb umgehend Kontakt zur Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, aufgenommen.
Aufsichtsratsvorsitzender der documenta warnt vor Generalverdacht
Bei der Abbildung auf dem Kunstwerk handele es sich um einen "antisemitischen Verstoß, der nicht von der Hand zu weisen ist", sagte auch der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle.
Er warnte zugleich davor, die documenta fifteen nun unter Generalverdacht zu stellen. "In den Preview Days, die vergangene Woche von Mittwoch bis Freitag für Fachpublikum und Medien stattgefunden haben, waren keine antisemitischen Kunstwerke vorher feststellbar."
Israelische Botschaft: Alle roten Linien "zertrümmert"
Deutliche Worte fand die israelische Botschaft in Berlin: "Die in einigen Exponaten gezeigten Elemente erinnern an die Propaganda von Goebbels und seinen Handlangern in dunklen Zeiten der deutschen Geschichte." Alle roten Linien seien nicht nur überschritten, sie seien zertrümmert worden.
Das American Jewish Committee Berlin forderte sogar die Entlassung der documenta-Geschäftsführerin. Schormann solle umgehend von ihren Aufgaben entbunden werden, "der offen zur Schau gestellte Antisemitismus unverzüglich unterbunden und die entsprechenden Werke entfernt werden", erklärte Direktor Remko Leemhuis.
Kulturrat fordert Aufklärung von documenta-Machern
Die Gesellschafter der Kunstschau - die Stadt Kassel und das Land Hessen - müssten jetzt für Klarheit sorgen, forderte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, "da die Geschäftsführung der documenta fifteen offensichtlich dazu nicht bereit oder in der Lage ist."
Vor dem Hintergrund der Debatte um die 15. Ausgabe der documenta hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung der Schau am Samstag schon die Grenzen der Kunstfreiheit betont. "Kunst darf anstößig sein, sie soll Debatten auslösen." Kritik an israelischer Politik sei erlaubt. "Doch wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten.
"Skandal mit Ansage" auf der documenta
Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), Volker Beck, hat einem Medienbericht zufolge die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Beck sagte zur "Bild"-Zeitung mit Blick auf das Bild eines Schweins mit Davidstern und der Aufschrift "Mossad", das auf der Documenta ausgestellt sei: "Gemessen an den Maßstäben des Urteils des Bundesgerichtshofs zur Wittenberger 'Judensau' stellt das Werk des Künstlerkollektivs Taring Padi einen rechtsverletzenden Zustand dar."
Beck weiter: "Durch die Darstellung von Juden- und Mossad-Säuen wird unmittelbar auch der Geltungs- und Achtungsanspruch eines jeden in Deutschland lebenden Juden angegriffen. Die Identifizierung eines Juden mit Kippa und Hut, markiert mit einer SS-Rune, verteufelt Juden generell." Er habe sich entschieden, "die Sache der Staatsanwaltschaft in Berlin und Kassel zur Prüfung vorzulegen".
Kritisch diskutiert wird auch die Arbeit "Guernica Gaza" der palästinensischen Künstlergruppe "The Question of Funding", die israelische Soldaten zeigt, die palästinensische Bauern angreifen - in Anlehnung an Pablo Picassos Bild "Guernica".
Quelle: dpa, ZDF, KNA