Der Rücktritt von documenta-Chefin Sabine Schormann war nötig - schafft das Problem aber nicht aus der Welt. Ein Kommentar.
Der Rücktritt von Sabine Schormann war nötig und konsequent. Die Nachtsitzung des Aufsichtsrates der documenta brachte endlich Klarheit. Eine Generaldirektorin, der es am Willen oder an der Fähigkeit fehlt, so schwerwiegende Vorwürfe wie die des Antisemitismus aufzuklären, muss gehen.
Zu lange hatte sie Auskunft und Dialog verweigert, engagierte und moderierende externe Stimmen, wie die des Leiters der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, ignoriert.
Problem aber nicht aus der Welt geschafft
Mit Schormanns Rücktritt aber ist das Problem nicht aus der Welt geschafft. Nicht nur hat die wichtigste Welt-Kunstausstellung in Deutschland schweren Schaden genommen: Eine wichtige Chance auf internationale kulturelle Verständigung wurde vertan.
Nach dem Antisemitismus-Eklat hat die documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann Konsequenzen gezogen und ihr Amt niedergelegt.
Es lag viel Potenzial in der Idee, die Perspektiven des globalen Südens sichtbar zu machen und mit westlicher Sicht zu konfrontieren, das unterschiedliche historische Bewusstsein und kulturelle Selbstverständnis einander zu vermitteln. Im besten Fall wäre aus gezielten künstlerischen Zumutungen und konfrontativen Auseinandersetzungen ein gemeinsamer Lernraum entstanden.
Rückzug auf Kunstfreiheit statt Führung
Aber der interkulturelle Dialog muss organisiert und gerahmt werden. Dafür hatten Aufsichtsgremien und Generaldirektorin keinerlei Vorsorge getroffen. Als der Vorwurf antisemitischer Darstellungen auf dem Banner "People's Justice" gegen das Künstlerkollektiv Taring Padi aufkamen, ließen sich Verantwortlichkeiten nicht mehr zurückverfolgen - hier hätte die Generaldirektorin in die Führung gehen müssen. Sie zog sich auf die Position der Kunstfreiheit zurück. So kann internationale Verständigung nicht funktionieren.
So reagierte die documenta auf den Eklat:
- Wie reagiert die documenta nach dem Vorfall?
Kunstfreiheit und Kampf gegen Antisemitismus sind eigentlich kein Gegensatz. Doch bei einer Kunstausstellung kam es zu einem Antisemitismus-Vorfall. Was ist bei der documenta los?
Das Kuratieren im Kollektiv bietet Möglichkeiten, die Vielfalt von Stimmen und Sichtweisen zu erhöhen, zumal hinsichtlich der globalen politischen Fragen dieser Zeit. Diese Chance konnte bislang nicht ausreichend genutzt werden, aus Mangel an geordneten Prozessen, die wir aus dem politisch-demokratischen System kennen. Verantwortung darf im Kollektiv nicht diffundieren.
Rollen und Zuständigkeiten müssen geklärt werden
Die documenta hat noch knappe zwei Monate Zeit, um neues Vertrauen zu werben. Wie in einem Kollektiv Rollen und Zuständigkeiten geklärt und mit Aufsicht verzahnt werden können, gehört an den Anfang der Neuaufstellung.
Für den globalen Dialog, den wir immer intensiver führen müssen, wäre das eine wertvolle Vorbereitung.
Anne Reidt leitet die Hauptredaktion Kultur im ZDF.